> Interview mit Florian und Barbara Thum von Vier im 4x4

Offroad durch Südamerika mit Kindern: Familie reist zwei Jahre im Expeditionsmobil

17.08.2024
Text: Karsten Kaufmann | Bild: Vier im 4x4

Mit Kindern zum Camping auf den Lido de Venezia? Dafür benötigt so manche Familie eine lange Vorbereitung. Florian und Barbara Thum erzählen im Interview mit 4x4 Camper, wie sie Familie und Fahrzeug für zwei Jahre Südamerika fit gemacht haben.

Reisen mit Kindern stellt Eltern vor besondere Herausfordungen. Die einen Kids wünschen Strand und Animation und lückenlose Bespaßung – andere scheinen das Abenteuer-Gen ihrer Eltern geimpft gekommen zu haben und lieben es auf Entdeckungsreisen zu gehen. Wer plant, mit seinen zwei erst drei und vier Jahre alten Kindern für zwei Jahren über den südamerikanischen Kontinent zu touren, sollte genau wissen, aus welchem Holz seine Kinder geschnitzt sind – sonst kann eine Fernreise im Camper zur Tortur für die ganze Familie werden.

Florian und Barbara Thum wussten von diesen Herausforderungen und den besonderen Problemen, die auf Eltern zurollen können, wenn man sich aufmacht, mit seinen Kindern und einem Iveco 90-16 durch die Weltgeschichte zu tingeln. Ihre Überlegungen, Planungen, das Setup ihres Fahrzeugausbaus und ein Reise- und Camping-Probelauf mit ihrem Fahrzeug und Kindern durch Europa sollten sich als wertvoll und gelungen herausstellen. In diesem Interview teilen Sie Ihre Erfahrungen mit den Lesern vom 4×4 Camper Magazin.

 

Familie Thum vor ihrem Iveco 90-16
Foto: Vier im 4x4

Mit zwei kleinen Kids, zwei Jahre durch Südamerika. Ihr seit Vier im 4×4 und blickt auf eine Tour quer durch den Kontinent zurück? Was hat Euch dazu bewogen – wie fasst ihr Eure Erlebnisse in drei Sätzen zusammen?

Es war für uns die erlebte totale Freiheit – keine Fremdsteuerung im Alltag. Keine Termine – Atemberaubende Natur- und Tierwelt. Außerdem konnten wir unseren Kids zeigen, dass es mehr als „unser Dorf“ gibt. Der Blick über den Tellerrand lohnt sich immer. Unsere Motivation war endlich, dem schon länger keimenden inneren  Wunsch nach einer Langzeitreise nachzugeben – und die oft so pauschal gesagten Sätze wie „Träume nicht sondern mache“ – Taten folgen zu lassen. Wir haben jede Sekunde geliebt…

 

Als Paar mit Kids auf 10 Quadratmetern, und all die Herausforderungen einer Langzeitreise – wie hat das funktioniert?

Anfangs hat die Euphorie und die Vorfreude auf das „ungewisse“ überwogen. Vor allem in unserem Probelauf – wir waren erst einige Monate in Europa unterwegs –  gab es anfangs wenige, nennenswerte Herausforderungen. In Südamerika kommen dann aber Fragen auf wie beispielsweise welches Risiko gehen wir ein, wo übernachten wir, welche Route nehmen wir? Alles potentielle „Streitthemen“.

Wir sind an diesen Entscheidungen aber gemeinsam gewachsen. Anfangs hatten wir eine Grundregel: „Wenn sich einer nicht wohl fühlt, wird nicht diskutiert, dann bleiben wir hier nicht!“ Wir haben aber schnell gemerkt, dass wir so eine Regel gar nicht brauchen. Wir empfinden da sowieso sehr gleich. Jeder ist in eine neue Rolle gewachsen und hat da auch volle Verantwortung getragen.

Babsi war zu 100 Prozent unsere Navigatorin. Das bedeutet sie navigiert auf einer digitalen Karte. Auch durch alle Stadtdschungel. Routenfähige Apps/Navisysteme gab es bei uns nie! Ich fahre und kümmere mich um das Fahrzeugseitige Wohl. Vielleicht war es diese Rollenverteilung, die zur Harmonie geführt hat, denn jeder war unersetzlich. Mit stressigen Situationen sind wir immer mehr als Team gewachsen und haben versucht Ruhe zu bewahren, gemeinsam zu entscheiden und auch die Kids zu integrieren. Und nach zwei Jahren auf  10 Quadratmetern – da hat man eh keine Geheimnisse mehr. Uns hat es als Paar sehr zusammengeschweißt und keinesfalls Distanz geschaffen hat.

 

Wohnraum des Iveco 90-16
Foto: Vier im 4x4
Kindersitz mit Aussicht im Iveco 90-16
Foto: Vier im 4x4

Kids auf Reisen: Wie haben es die Jungs wahrgenommen?

Zum Glück haben unsere Jungs mit nur 17 Monaten einen geringen Altersunterschied. Dies hat sicherlich dabei geholfen, dass die beiden viel miteinander anfangen konnten und eng zusammen gewachsen und best buddies geworden sind. Mit nur einem Kind, wären wir ganz schön gefordert gewesen und hätten sicherlich kein Kind als Spielpartner ersetzen können.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, erstmal ein halbes Jahr in Europa zu reisen. Hätten die Kinder keine Freude am Reisen gefunden, dann hätte es keinen Sinn gemacht es zwei Jahre durchzuziehen. Nach den ersten Monaten haben wir aber alle vier entschieden, dass wir Südamerika wagen wollen.

Ein weiterer wichtiger Punkt war das Fahrzeugkonzept. Die Kinder wurden als wichtiger Part eingeplant. Sie hatte eine super Sitzposition mit toller Aussicht in der Fahrerkabine, ein eigenes Bett, das nicht umgebaut werden muss und so immer als Rückzugsort zur Verfügung steht und es war beispielsweise genügend Platz für Spielzeug und Kinderfahrräder vorhanden.

Vor der Reise hatten wir damit gerechnet, öfter auf andere reisende Familien zu treffen. Direkt nach Corona, war das aber eher die Ausnahme. Wenn sich die Chance bot, haben wir durchaus gerne unser Reisetempo oder auch die Route an eine andere Familie angepasst, um den Kindern mal wieder Zeit mit Spielkameraden zu ermöglichen.

Warum Südamerika?

Eine gute Frage. Pragmatische Antwort: Warum nicht. Ein bisschen hat uns das Ausschlusskriterium geholfen. Europa: Zu nah, können wir auch in den Sommerferien mal machen und kennen wir schon einiges. Und der Osten? Wollten wir nicht, wegen des Ukraine-Kriegs. Australien: Verschiffung zu teuer.

Afrika: zu viel Planung bezüglich etlicher Visa, außerdem höheres Reiserisiko (Krankheiten, politische Situation). Das wollten wir mit den Kindern nicht. Nordamerika war uns dann doch zu westlich. Hier hätte uns das kulturelle Abenteuer gefehlt. Na dann auf nach Südamerika: Bürokratisch einfach zu bereisen, tolle Kulturen, Abenteuer in sämtlichen erdenklichen Landschaften. Wüste bis Dschungel – das war unser Ding.

Pass in Südamerika
Foto: Vier im 4x4

Bildergalerie

Enge Gebirgspiste in Südamerika
Foto: Vier im 4x4

Warum der Iveco 90-16?

Günstig und ziemlich unverwüstlich. Seine große Bodenfreiheit und die Getriebeuntersetzung ist der Gamechanger beim Reisen, ebenso wie gute Reifen. Die wir zum Glück mit den Hankook AM15+ mit Baustellenprofil  auch hatten. Diese Kombi hat sich als hervorragend langstreckenreisetauglich herausgestellt. Am Ende haben für uns also die Vorteile überwogen. Diese Punkte waren fast noch wichtiger als Allradantrieb – obwohl uns der, da muss am Ende schon realistisch sein, gepaart mit den Diff.-Sperren, einige Routen erst ermöglicht hat. Gut ihn als Backup zu haben.

Würdet ihr wieder einen alten Lkw wählen?

Unbedingt ja. Anfängliche Bedenken wichen der Gewissheit: Der alte Knabe bringt uns überall hin. Regelmäßige Servicearbeiten gehören aber bei Fahrzeugen dieser Kategorie dazu. Das sollten Interessenten auf dem Schirm haben – und auch das Know-how besitzen, diese selbst in Angriff nehmen zu können. Die Angst vor der Fahrzeuggröße haben wir aber komplett verloren. Wir konnten überall hin, wo wir hinwollten. Die Größe hat es manchmal erschwert aber nie unmöglich gemacht. Die Vorteile bei Wohnkomfort, Bodenfreiheit und Traktion haben die Nachteile locker kompensiert. Egal ob Todesstrasse, Canyon-Serpentinen oder Stadt-Dschungel. Wir lieben den Dicken.“

Eure Art zu reisen: Durchgetaktet oder eher spontan?

Eher spontan! Gerne auch mal länger stehen bleiben und Land und Leute kennenlernen. Tatsächlich sind wir aber, ich bin selbst etwas überrascht, im Schnitt alle 1,5 Tage weitergefahren.

Unwohlsein beim Wildcampen?

Selten bis nie. Wir haben in Südamerika erst richtig die Definition von „wildcampen“ verstanden. Wenn man 360 Grad um sich herum kein Indiz von Infrastruktur sieht – keine Hochspannungsleitung, kein begradigter Fluss, kein Schornstein – und dieses Gefühl über Tage, auch beim Fahren, aufrechterhalten kann, hat man auch keine Sorge, dass man das nicht darf oder da kommt jemand „Böses“.

Was hat im Fahrzeug optimal funktioniert – was waren Aufreger?

Optimal funktioniert hat unser Raumkonzept, auf das wir auch echt stolz sind. Die Erfahrung, unsere eigene Einschätzung und die Umsetzung haben perfekt das auf Beine gestellt, was wir haben wollten. Super war die große freie Fläche für die Kids zum Spielen – die parallel einen großen, offenen Raum mit freien Blickachsen gestaltete. Das macht längere Aufenthalte im Fahrzeug – und die gibt es bei gewissen Wetterlagen immer wieder – sehr viel angenehmer. Und auch die Euroboxen mit Riegeln als Schubladen haben sich mega bewährt. Günstig, praktisch, leicht und unverwüstlich. Wir sind jeden Morgen total zufrieden aufgestanden. 

Echt negativ, keine Frage: Die Kunststofffenster sind nicht optimal, hier wären Echtglasfenster wünschenswert. Wirklich unbrauchbar sind aber die Kunststoff-Dachhauben. Sie altern unter der extremen Sonne in Südamerika in zwei Jahren wie hier in Europa in 20.  Hier könnten wir Echtglas-Dachhauben nachrüsten. Außerdem achten wir beim nächsten Ausbau auf einer bessere, nach außen gerichtete Wärme Abfuhr des Kühlschranks.

Wichtiges Tool, Werkzeug oder Zubehör?

Makita Schlagschrauber fürs Grobe, als Arbeitserleichterung am Lkw und der Makita-Akku-Staubsauger für die flotte Reinigung von Fahrer- und Wohnkabine.

Sanddüne als Spielplatz für die Kids
Foto: Vier im 4x4
Camping mit Kindern - Sonnenuntergang in Südamerika
Foto: Vier im 4x4

Frischwassertank – je größer desto besser?

Wir haben 300 Liter an Bord – sind damit super ausgekommen. Wir filtern und desinfizieren (UV) beim Tanken und bei der Entnahme. Das hat uns eine sehr hohe Wasserqualität gesichert – wir haben das Wasser aus den Tanks bedenkenlos getrunken und waren so anderthalb bis zwei Wochen voll autark.

Ein paar Takte zur Technik: Bordbatterien, Energie grundsätzlich, Heizung?

Wir waren mit 200-Ah-LiFePO4 und 600 Wp auf dem Dach bestens aufgestellt. Kochen und Heizen (Truma Combi) funktioniert über Gas. Wir haben einen 105-Liter-Gastank unterflur hängen. Die Gasheizung stellte sich als perfektes Setup für die südamerikanischen Hochebenen heraus. Hier ist man über etliche Tage auf 4.500 bis 5.000 Metern. Die Gasheizung funktioniert problemlos, während viele Dieselheizungen anderer Overlander hier die Flügel streckten. Auch in extrem hochpreisigen Fahrzeugen. Ärgerlich bei Temperaturen von unter 20 Grad Minus.

Die Sorge, kein Gas zu bekommen ist unbegründet. Ganz Südamerika kocht mit Gas – man muss sich allerdings etwas zu helfen wissen, wie der „Stoff“ in den Tank kommt. Den energetischen Worst Case haben wir nicht bei regnerisch, bewölktem Wetter gefunden, sondern im Dschungel bei 40 Grad. Die brennende Sonne zwingt uns im Schatten zu Parken. Gleichzeitig schalten die Kühlschränke nicht mehr ab und saugen unbarmherzig 24 Stunden am Tag die Energie aus den Speichern.

Habt ihr Euch eine Klimaanlage wünscht?

Einige Wochen in Südamerika schon. Da wäre sie schon eine Erleichterung gewesen – aber kein Muss.

Welche Toilette habt ihr an Bord?

Eine Trockentrenn von Separett. Das Konzept der TTT hat uns überzeugt – die miese, sich auflösende Oberfläche hingegen weniger.

Sonnenschutz – Markise oder Sonnensegel?

Markise! Der Wunsch von Barbara und hat sich bewährt. Die Thule hat etliche sehr innige Felskontakte überlebt und diente also auch ungewollt als Kantenschutz –Ehrlich gesagt waren wir überrascht was die klassische „Womo-Markise“ ausgehalten hat.

Reifentyp, okay? Kompressor an Bord? Habt ihr oft Luftdruck reduziert?

Von Overlandern eine häufig diskutierte Frage. Wir sind favorisieren das Baustellenprofil. Es hat sich bei uns einfach extrem bewährt und wir hatten keinen Reifenschaden. Ich bin oft überrascht, dass man teure Expeditionsmobile sieht, die auf  Second-Hand-Militär-Reifen rollen, die ihre besten Jahre hinter sich haben. Unsere neuen Hankooks haben jetzt 50.000km gerollt und wir sind top zufrieden. Abrollgeräusche, Standfestigkeit und auch Traktion haben überzeugt. Auch im Sand und bei niedrigen Fülldrücken haben sie uns nicht im Stich gelassen.

Für die Schlammpassagen hatten wir extra Schneeketten dabei, die aber nie zum Einsatz kommen mussten. Als Backup für unsere verbauten Luftkompressor haben wir einen kleineren 12-Volt-Kompressor dabei. Aber nie gebraucht. Häufig Luftdruck zu reduzieren ist lästig, aber der Aufwand lohnt unbedingt.

Wie lange habt ihr benötigt die Reifen wieder aufzufüllen?

Wir haben die Ventile komplett rausgeschraubt und wussten exakt nach wie vielen Sekunden wir welchen Luftdruck erreicht haben. Stoppuhr lief mit.Damit war die Anpassung von Asphalt auf Schotter easy – anders rum dauert. Bis zu 30 / 45minuten. Aber genervt hat das selten. Wir haben ja Zeit.

Kids erproben die Lenkung des Ivecos
Foto: Vier im 4x4
Affiger Besuch beim Camping
Foto: Vier im 4x4

Eure Highlights, die ihr unbedingt wieder ansteuern würdet:

In schöner Erinnerung sind uns – neben etlichen anderen tollen Zielen – die Weihnachtstage in Ushuaia mit einer Gruppe anderer Overlander, das Pantanal in der Amazonas-Tiefebene (in der Trockenzeit) und die Salar de Uyuni geblieben. (Der Salar de Uyuni in den Anden im Südwesten Boliviens ist die größte Salzpfanne der Erde.) Generell sind die Anden Hochebenen eine totale Wucht. Es ist erstaunlich zu begreifen wie viele Planeten (im Sinne von Landschaften) unsere Erde noch so hat.

 

Kosten / Budget – was waren neben dem Fahrzeug die großen Posten? Was waren die Tages-Budgets?

Die größten Einzelausgaben sind natürlich Verschiffungskosten und Fluganreise für die Personen – auch die Auslandskrankenversicherung ist relativ kostenintensiv. Wir haben tatsächlich in schwäbischer Manier alle Ausgaben getrackt. Absolute Zahlen sind immer abhängig davon, wie man reist. Hier mal unsere  TOP-5-Kategorien prozentual dargestellt:

  • Restaurant und Supermarkt 32%
  • Reparaturen, Service und Maut 16%
  • Diesel 16%
  • Sonstiges (Apotheke, Handy, Versicherung) 15%
  • Aktivitäten, Nationalpark, Eintritte 12%
  • Übernachtungskosten 9%

Mehr zu den Offroad-Abenteuern der Family findet ihr hier.

Endlose Salzwüste in Südamerika
Foto: Vier im 4x4
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