Offroad bestimmt mein Leben. Zugegeben – bisher im Sattel eines Mountainbikes. Ich bin von Herzen Radsportler. Durch und durch. Doch parallel schlummert in mir eine Passion für 4×4-Camper und jegliches Offroad-Abenteuer. Meine Eltern hatten zwar keinen Geländewagen vor der Haustüre, doch in meinem Kinderzimmer füllten, zumindest in meiner Erinnerung, fast 400 Matchbox-Autos, vorzugsweise mit dicken Stollenreifen, etliche Kisten. Fantastisch, dass sich für unsere Tour der Kreis für mich wieder schließt.
Wie es dazu kam? Einer meiner besten Freunde, Tobias, ist schon alleine durch seinen Defender stark vom Offroad-Virus befallen. Er muss keine große Überzeugungsarbeit leisten, um mich für einen außergewöhnlichen Trip zu überzeugen. Zumal, und auch hier schließt sich der Kreis wieder, wir uns beide gerne der Passion hingeben, neue Trails mit dem Mountainbike zu erkunden. Jetzt einmal mit dem Geländewagen tiefer als andere ins Gebirge vordringen, Routen mit dem Auto scouten und am Ende über unbekannte Trails auch noch den letzten erreichbaren Zipfel eines Tals oder Gipfels zu erreichen – das hört sich nach einem fantastischen Plan an.
Aber wohin? Wir wollen nicht um den halben Globus fahren müssen – welche Ziele liegen in unmittelbarer Schlag- weite? Schnell verdichtet sich unsere Planung mit Blick auf Ligurien. Hier, im weiten Hinterland des Bike-Mekkas Finale, gibt es nicht nur viele unentdeckte Trail-Perlen, sondern auch die ligurische Grenzkammstraße, die sich zwischen Italien und Frankreich durch die Bergflanken schneidet. Sie ist mit dem Motorrad oder Allrad-Fahrzeug gegen Gebühr befahrbar und zählt zu Europas schönsten Offroad-Straßen – und wir können, zumindest weitestgehend, legal unterwegs sein. Das Ziel war gesetzt – im Sommer 2022 startete unser Abenteuer.
Tobi reist mit seinem Land Rover Defender an, den er mit viel Liebe und Mühe, aufwendigen Schweißarbeiten und dem ein oder anderen kleinen Nervenzusammenbruch in Eigenleistung liebevoll restauriert hat. Das Ergebnis stellt sich nicht als typisches Offroad-Wägelchen vor, mit dem die Münchner Schickeria am Wochenende nach Garmisch gondelt, sondern als ein ehrlicher, wenn auch ein wenig hemdsärmeliger, aber immerhin voll ausgestatteter Offroad-Camper.
Mein geliehener Isuzu Pick-up mit Dachzelt rollt mit null Ausstattung zu mir – aber hierfür habe ich ja Tobi mit seinem top ausgestatteten Land Rover. Unser erstes Camp in der Nähe von Limone Piemonte schlagen wir auf einem geschotterten Platz unterhalb einer Felswand auf – und ich erhalte meine erste Lehrstunde: „Nicht zu nah an der Wand parken, denk an Steinschlag“, ermahnt mich Tobi.
Am anderen Ende des Platzes steht bereits ein Jeep und das Lagerfeuer lodert davor. Nachdem wir unsere Dachzeltburg aufgebaut haben, stellen wir uns unseren Nachbarn vor, doch die Verständigung mit dem türkischen Pärchen stockt. Immerhin: Die Einladung zum „beer“ verstehen wir und fallen wenig später, zugegeben leicht angesäuselt, ins Dachzelt. Wobei „fallen“ beim Dachzelt nicht so ganz einfach gelingt.
Am nächsten Morgen zaubert Tobi auf seiner fancy-ausklappbaren Außenküche zwei herrliche Cappuccino – nachdem der erste Cappuccino, auch das ist Camping, auf seiner Hose landete. Dann geht’s los – und schon auf der ersten Passhöhe wartet die erste Überraschung. Tief im Tal, mitten auf unserer geplanten Route, sehen wir eine gewaltige Rauchsäule aufsteigen. Ist das ein kontrolliertes Feuer eines Bauern oder ein sich entwickelnder Waldbrand? Sicher ist sicher – wir umfahren den „Hotspot“ und stehen kurz darauf am Einfahrtsportal der Grenzkammstraße.
Herrlich: Zwei Mopedfahrer mit ihren übergewichtigen Honda Goldwings werden gerade abgewiesen – für sie wird es hier nicht weitergehen. Die Strecke, die sich uns nun präsentiert, ist deutlich weniger spektakulär als erwartet – auch wenn ein ordentliches 4×4-Setup hilfreich ist. Wir krabbeln über groben Schotter, mal ist die Route etwas felsig, aber nie übermäßig steil oder gar extrem eng und ausgesetzt. Dennoch beschleicht mich hin und wieder das Gefühl, dass mindestens ein Reifen über dem Abgrund schwebt, oder dass ich gleich das Dachzelt an irgendeinem Felsvorsprung abschäle. Beides passiert Gott sei Dank nicht.
Als uns der Hunger plagt, scheren wir von der Piste ab und klappen die Küche aus. Tobis Messer klappern, der Kocher faucht und unter den aufmerksamen Augen seines Hundes steht wenig später ein solides Pasta-Gericht neben mir. Der Hammer, die Tour gewinnt ständig an Profil – nicht zuletzt durch Tobis dritte Leidenschaft (nach Bikes, Offroad-Campern, Hunden, Angeln, Kajak, … waren es jetzt schon mehr als drei?) – das Kochen. Ich verorte sein Niveau kurz vor der Champions League, eine Qualifikation, die mir die Entscheidung zu diesem Trip erleichtert hat.
Plötzlich ziehen schwarze Wolken auf. Immer dichterer Nebel erschwert die Sicht, etwas deprimiert schlagen wir schon früh am Nachmittag unser Nachtlager auf. Immerhin, der Platz zwischen dicht stehenden Nadelbäumen hat etwas Magisches. Und die Magie setzt sich mal wieder fort: Tobi schmeißt seinen Grill an. Das leckere Essen lässt uns das Wetter schnell vergessen und die Vorfreude auf den nächsten Tag stimmt uns optimistisch.
Etwas rauh werden wir von einem Endurofahrer geweckt, der neben uns parkt und in seinen Taschen kramt. Er stellt sich als Fabrizio vor, ist vor einigen Wochen in den Abruzzen losgefahren. Wir versorgen ihn mit Routentipps. Sein Fernziel ist das Nordkap. Wow… Bei uns bleiben die Motoren heute aus. Wir erkunden per Rad einige wirklich entlegene Trails mit den MTBs. Der Trip ist sensationell, aber fast ein wenig spooky – wir treffen keine Biker, keine Wanderer – nicht einmal ein Eichhörnchen. Das Tal wirkt wie ausgestorben.
Nach etlichen Tiefenmetern erreichen wir ein kleines Dorf und freuen uns auf Pizza und Kaffee. Unser Magen hängt uns in den Kniekehlen, wir sind ohne Verpflegung gestartet (was sind wir doch für Amateure). Ein Schild „ciuso“ verheißt nichts Gutes. Am Ende finden wir eine kleine Käserei, die aus dem Wohnzimmer heraus Käse und Yoghurt verkauft. Inhaber Giovanni erklärt uns, dass er ausverkauft ist. Volltreffer. Hungrig treten wir den Rückweg an.
Der aufmerksame Leser ahnt es sicherlich, exakt – Tobis Kochkünste werden auch diesen Tag retten. Tags darauf stehen wir urplötzlich in einem verlassenen Ski-Ort. Verlassene Ferienhäuser, leere Hotels, einige Ruinen, abgewrackte Liftanlagen. Schaurig schön – und womöglich eine tolle Kulisse für einen Horrorfilm. Erstaunlich, welche Überraschungen diese Tour für uns bereithält. Im Dunkeln erreichen wir Ormea. Auf der Suche nach einem adäquaten Schlafplatz findet Tobi in seinem digitalen Kartenmaterial einen wunderschönen Spot. „Fünf Sterne von Offroad-Klaus“, berichtet er begeistert. Und sonst? Keine Infos. Wir wollen die fünf Sterne sehen – also los.
Schon im Dorf ist der Weg kaum breiter als eine enge Hofeinfahrt, links und rechts schleifen die Spiegel am Mauerwerk der alten Häuser – und Lorettas Trockenwäsche verfängt sich in meinem Dachzelt. Aber was Offroad-Klaus geschafft hat, wollen wir auch schaffen. Kurzum: Die Auffahrt entwickelt sich für uns Offroad-Novizen zum nervenaufreibenden Krimi. Der Weg erscheint uns selbst für ein Kettcar zu schmal, zahlreiche Kehren schaffen wir erst durch mehrfaches Hin- und Herrangieren.
Umdrehen? Keine Option, weil schlicht unmöglich. Immerhin: Defender und D-Max machen ihren Job hervorragend. Sollte oben am Berg ein verschlossenes Tor sein, so müssten wir es entweder aufbrechen oder die Fahrzeuge komplett zerlegen und umgedreht wieder aufbauen. Schlussendlich öffnet sich eine Lichtung vor uns, auf der wir unser Nachtlager aufbauen. Die Wolken zerfransen etwas und geben das Mondlicht frei. Die Silhouette einer einsamen Kirche zeichnet sich vor einer nahen Anhöhe ab. Könnte es gruseliger sein? Kaum. Zur Beruhigung entkorken wir uns nach der Offroad-Feuertaufe erst mal ein Bier und erholen uns wenig später mit einem traumreichen Schlaf im Dachzelt.
Als der nächste Tag anbricht, sieht die Welt plötzlich viel freundlicher aus. Wie sehr doch Dunkelheit und Müdigkeit die Wahrnehmung verzerren. Am letzten Tag unserer Reise durch Ligurien packen wir die Zelte zusammen und machen die beiden 4x4ler reisefertig. Kurz bevor wir die Motoren starten, entdeckt „Tobi Spürnase“ einen mächtig schmalen, nennen wir ihn Schmugglerpfad, der am Hang entlang führt.
Ohne zu wissen, wo der Pfad herkommt und wo er hinführt, entscheiden wir uns, ihn mit den Mountainbikes zu erkunden. Tatsächlich führt uns der schmale Pfad hoch hinauf und wenig später noch weiter hinab. Far out. Weit weg. Ein epischer Trail, den wahrscheinlich bisher noch keine Handvoll Biker gefunden hat – und den wir ohne unsere Offroader auch niemals entdeckt hätten. Finale, wir kommen wieder. Keine Frage.