Es geht gefühlt im 45-Grad-Winkel nach oben. Der Untergrund: loser Schotter. Ein Unimog mit Wohnkabine rollt rückwärts an die Hangkante, dann gibt der Fahrer Gas. Er schafft es nicht einmal bis zur Hälfte des Hangs, dann geht nichts mehr. Die gewaltigen Räder des Unimogs drehen durch, graben sich ein. Schluss, aus. Langsam rollt das Fahrzeug den Hang vorwärts wieder herunter. Doch es folgt Anlauf Nummer zwei. Ein scharfes Zischen erfüllt die Luft. Der Fahrer reduziert den Reifendruck – das geht in diesem Expeditionsmobil ganz bequem aus dem Cockpit.
Wieder rollt das Fahrzeug an die Hangkante. Der Fahrer gibt Gas – und das Fahrzeug erklimmt langsam, aber unaufhaltsam den absurd steil anmutenden Geröllhang. Jubel brandet auf. Die Teilnehmer des Krug Expedition Offroad-Wochenendes haben sich am Fuß des Hangs versammelt und applaudieren dem Unimog-Fahrer. Es sind Vorführungen wie diese, die den Anwesenden zeigen sollen, mit welchen Tricks es selbst in ausweglos erscheinenden Situationen weitergeht. Denn auf den Reisen, von denen jeder hier träumt – weltweit, fernab der Zivilisation, durch Wüsten, Steppen und unwegsames Gelände -, können solche Situationen an der Tagesordnung sein.
Doch bevor es losgeht mit der Weltreise, muss das richtige Fahrzeug dafür her. Darauf hat sich der österreichische Hersteller Krug Expedition aus Schladming in der Steiermark spezialisiert. Gefertigt werden vor allem große Expeditions-Lkw auf MAN- und Mercedes-Benz-Basis – bis hin zum gigantischen Dreiachser Mercedes-Benz Arocs mit 7,10 Meter langer Wohnkabine. Das andere „Extrem“ markiert der Project Rhino mit kompakter 4,30-Meter-Kabine auf dem Mercedes-Benz Atego, der gerade noch so in die 7,5-Tonnen-Klasse passt. Und der zudem mit einem Startpreis von rund 360.000 Euro als geradezu expeditionsmobil-einsteigertauglich durchgeht. Jüngst hat der Hersteller auch eine Variante für Familien vorgestellt, den Rhino Family XL (siehe Neuheiten zur Abenteuer & Allrad in diesem Heft).
Egal, ob kleiner Rhino oder riesiger Dreiachser-Arocs: Vor der Weltreise empfiehlt es sich, sich mit dem Gefährt seiner Wahl vertraut zu machen. Deshalb lädt Krug Expedition regelmäßig Besitzer eines Krug-Mobils ebenso wie ernsthaft Interessierte, zum Offroad-Fahrtraining. An diesem Wochenende im April versammelten sich die rund 30 Teilnehmer in der Nähe von Biberach an der Riß in Oberschwaben.
Zu den Teilnehmern, die bereits mit dem eigenen Fahrzeug anreisen, gehörten Annette und Markus aus Worms. Ihre Krug Expedition Wohnkabine sitzt auf einem Lkw-Fahrgestell von Steyr. Besonderheit: Es ist bereits rund 40 Jahre alt, wurde aber für den neuen Einsatzzweck als Expeditionsmobil umfangreich von den Spezialisten der Firma Excap restauriert.
Das Paar beschreibt sein Fahrzeug denn auch als „wie neu“ – allerdings mit archaischer Technik. Doch das sehen die beiden für Reisen jenseits der Zivilisation mehr als Vorteil denn als Hindernis. „Uns ist wichtig, dass sich die Technik überall auf der Welt reparieren lässt“, sagt Markus. Da habe der Steyr gegenüber einem modernen Lkw vom Schlage eines Mercedes Arocs aus seiner Sicht klar die Nase vorn. Ihr Mobil besitzen Annette und Markus seit rund einem Jahr
Auf der Liste der angesteuerten Reiseziele stehen bislang eher Länder und Routen, die auch mit weniger expeditionstauglichen Fahrzeugen machbar wären: Zuletzt waren sie in Spanien und Portugal, demnächst soll es über den Balkan bis Albanien und weiter nach Griechenland gehen. Ihr Motto: Sie wollen sich Zeit nehmen, ihr Fahrzeug kennen zu lernen. „Wir haben andere gesehen, die mit dem neuen Mobil sofort los sind und dann unterwegs viele Probleme mit ihrem Fahrzeug hatten“, berichtet Annette. Neben der Gewöhnung ans Fahrzeug spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle. „Noch müssen wir arbeiten. Wenn wir die Zeit dann haben, ist uns das Fahrzeug bereits vertraut“, sagt Markus.
Beim Offroad-Wochenende in Biberach sitzen die Wormser beim Mittagessen neben Christine und Eugène aus Luxemburg. Das Paar gehört zu den Interessenten, die der Hersteller eingeladen hat, um sich schon mal ein Bild der Fahrzeuge im Gelände zu machen. In diesem Fall ist Interessent fast ein wenig untertrieben, denn Christine und Eugène haben bereits bestellt: ein Expeditionsmobil auf dreiachsigem Mercedes-Benz Arocs mit Sieben-Meter-Wohnkabine, von dem in diese Text bereits zu lesen war.
Mit einem Wohnmobil dieses Ausmaßes sind die Luxemburger durchaus vertraut: Viele Jahre waren sie zuvor mit einem Liner von Niesmann+Bischoff, dem Flair, unterwegs. Zum Termin in Biberach reisten sie hingegen mit einem Hobby Vantana Kastenwagen an. Den kompakten 3,5-Tonner wollen sie auch behalten, wenn ihr Expeditonsmobil endlich fertig ist. Die erste Tour mit dem Dreiachser haben sie bereits geplant und gebucht: ein Fahrtraining in Marokko.
Läuft es nach Plan, soll der Arocs im August geliefert werden. Der Lkw ist bereits da, die Wohnkabine befindet sich derzeit noch in der Produktionsstätte von Krug Expedition in der Westukraine. Die Kabinenproduktion läuft zwar – so versichert der Hersteller – trotz des Krieges ohne Einschränkungen. Doch es wird rasch deutlich, wie komplex die Produktion eines Expeditions-Lkw ist. Während die Kabine in der Ukraine fertig gestellt wird, schlägt sich Eugène in Luxemburg mit dem TÜV herum, um zum Beispiel einen Geräteträger am Fahrgestell eintragen zu lassen. Die Vereinigung von Chassis und Kabine findet dann am Stammsitz von Krug Expedition in Schladming in Österreich statt.
Auch wenn sich der (künftige) Arocs von Christine und Eugène und der Steyr von Annette und Markus von den Ausmaßen her ähneln, technisch könnte der Unterschied zwischen den beiden Expeditions-Lkw kaum größer sein. Denn der Arocs ist mit jeder Menge modernster Technik ausgestattet. Beim Fachsimpeln am Mittagstisch geht es vor allem um die Fahrassistenzsysteme des Arocs, mit deren Hilfe das Mobil wie mit einem Autopilot unterwegs ist. Markus Gesichtsausdruck schwankt zwischen Faszination und Befremden, als Eugène ihm erzählt, dass der Arocs zum Beispiel vor Kreisverkehren selbstständig Gas rausnimmt und auf der Autobahn die nächste Steigung kennt und nach Möglichkeit vorab schon mal etwas Schwung sammelt.
Bei all der Technik ist Eugène indes froh, dass er in Biberach auf Markus Gruse trifft. Gruse ist der Experte schlechthin, wenn es um (Motor-)Technik in Expeditionsfahrzeugen geht. Seine Firma o-m.services ist offizieller Servicepartner von Mercedes-Benz, MAN und Iveco. Das Besondere an seinem Service: Egal, wo auf der Welt der Kunde unterwegs ist, Gruse kann via Internet und ein im Fahrzeug befindliches Steuergerät auf die Technik zugreifen und Hilfestellung bieten – auch und gerade für die Werkstatt vor Ort, die ein modernes Euro-6-Modell mitunter zum ersten Mal sieht. „Wir bieten das Rundum-Sorglos-Paket und sind die elektronische Werkstatt für unterwegs“, beschreibt Gruse seinen Job. Ersatzteile verschickt er weltweit in der Regel innerhalb von 72 Stunden (Gruse im Interview auf S. 12).
Große Trucks fahren laut Gruse rund 20 Prozent seiner Kunden. Diese bekommen einen kleinen Koffer mit der entsprechenden Technik mit auf den Weg, die dann im Diagnosefall im Motorraum angeschlossen wird – schon können Gruse und sein Team mit der Ferndiagnose starten. Ein großer Sicherheitsgewinn, findet der Bald-Arocs-Eigner Eugène, und steckt Gruses Visitenkarte ein. Das Offroad-Wochenende von Krug Expedition in Biberach zeigt: Die Ansätze auf dem Weg zum Expeditions-Mobil können höchst unterschiedlich sein. Doch ob vergleichsweise kompakt oder riesig groß, mit neuester Elektronik oder möglichst simpel, alle eint der Traum ihrer Besitzer nach der großen Freiheit auf Reisen. www.krugxp.com
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