> Praxistest Ineos Grenadier

Robust, hemdsärmelig, modern: Ineos Grenadier als Landy-Alternative

27.01.2024
Text: Karsten Kaufmann | Bild: Ineos Grenadier

Der Ineos Grenadier macht sich auf, den Land Rover Defender als stylischen Reisebegleiter für Puristen zu ersetzen. Was kann der neue Offroader?

Mal ganz ehrlich: Bisher waren echte Alternativen zum Land Rover Defender eher selten zu finden. Zumindest nicht für echte Land Rover-Enthusiasten. Diese suchten und suchen weder weichgespülte SUVs, noch vollausgestattete und technisch hochgezüchtete Offroader vom Schlag eines G-Modells. Auch robuste, aber irgendwie meist etwas seelenlose Pick-ups tauchen auf ihrem Radar eher selten auf. Der Ineos Grenadier hingegen stellt sich als gelungene Synthese aus einem robusten, etwas – im positiven Sinne – hemdsärmeligen Arbeitstier und einem modernen Offroader vor.

Ein Multimilliardär als Mitentwickler

Zwar fordert er vom Kunden etwas Nachsicht bei dem ein oder anderen Charaktermerkmal, das doch eher an vergangene Baureihen des Defenders erinnert. Im Gegenzug überrascht und verwöhnt er dann mit interessanten technischen Raffinessen, die ihn im Alltag oder schweren Gelände als verlässlichen und dennoch komfortablen Reisebegleiter favorisieren.

Seine optische Verwandtschaft zum Defender sei dem für Geländewagen typischen Box-Design geschuldet, so die Entwickler. Doch etliche, unverkennbare Defender-Stilelemente lassen die große Liebe von Sir Jim Ratcliffe, Ideengeber, Finanzier und Mitentwickler des Ineos Grenadier, an der ein oder anderen Stelle unverkennbar hervorstechen. Wie es dazu kam, dass ein Multimilliardär aus Großbritannien sich neben einiger Fußballvereine, einem Formel-1- sowie einem America’s Cup-Segelteam auch unbedingt einen eigenen Geländewagen leisten wollte, das lest ihr in Ausgabe 01/2022 von 4×4 Camper.

„Ein Geländewagen, der heute so nicht mehr gebaut wird. Das ist unsere Blaupause für den Grenadier: Ein leistungsstarker Offroader, der konstruiert wurde, um genau diese Lücke zu schließen.“ Sir Jim Ratcliffe - Dazu sagt 4x4 Camper: mission accomplished.
Foto: Ineos Grenadier
Foto: Ineos Grenadier

November 2023: 4×4 Camper ist unterwegs mit dem Team von Abenteuer 4×4 (Fahrtrainings, 4×4 Reisen, Ineos-Vertriebspartner) in den Zentralpyrenäen in der Region Huesca. Das Team rund um „Schäffe“ Andreas Christl hat hier auf dem Camping eines seiner Basecamps auf dem Camping Isabena in Huesca installiert und erfreut seine Kunden regelmäßig mit der herrlichen Natur der Pyrenäen, der exzellenten Küche des Campingplatzes und den epischen Offroad-Trails im Umland. Wir genießen eine wertvolle Einweisung in die Besonderheiten des Grenadiers und starten kurz darauf zu einer ausgiebigen Testfahrt.

So schmal wie möglich, so breit wie nötig

Dass der Grenadier mit sichtlich breiteren Schultern daherrollt als der Defender, ist der Verwendung etlicher Bauteile aus dem Zubehörkatalog namhafter Zulieferer geschuldet. Wer einen Getriebetunnel um ein 8-Gang-ZF-Wandlerautomatikgetriebe und einen grundsoliden Leiterrahmen herum formen muss, muss etwas in die Breite wachsen. Auch wenn hier die Maßgabe war: so schmal wie irgend möglich.

Foto: Ineos Grenadier
Foto: Ineos Grenadier

Der Benziner macht den besseren Job

In Sachen Motorisierung: Beide 3,0-Liter-Triebwerke mit Reihensechszylinder aus dem Regal von BMW machen einen guten Job. Der leistungswillige und spritzigere Benziner mit 286 PS und 450 Nm macht den sogar spürbar besser. Doch dieses Merkmal verbuchen wir unter „Jammern auf hohem Niveau.“ Denn auch das Dieselaggregat mit 249 PS und 550 Nm geht überaus engagiert ans Werk und schiebt den 2,7-Tonner steilste Hügel ohne Murren hinauf. Wobei sein stattliches, früh und motiviert loslegendes Drehmoment durchaus hilfreich ist. Und das, ein wichtiger Punkt für europäische Kunden, mit deutlich reduziertem Durst. Da stehen sich 14 (Benziner) und 11 Liter (Diesel) im gemäßigten Pisteneinsatz gegenüber.

Ein kleiner, hitzig diskutierter Aufreger: die Kugelumlauflenkung des Inoes Grenadier. Wer flott ums Eck zirkeln möchte, muss für den Wendekreis von 13,5 Metern fleißig Kurbeln – und darf beim Zurückkurbeln nicht auf hilfreiche Rückstellkräfte hoffen – denn die liefert der Grenadier nicht. Warum das Ganze: Die Kurbelumlauflenkung soll kräftezehrendes Lenkradschlagen im zerfahrenen Geläuf eliminieren und so den Fahrer entlasten. Das funktioniert in der Sache wirklich gut, fühlt sich aber gleichzeitig nicht wirklich modern an.

Über das Flugzeug-Cockpit-mäßige Interieur wurde schon viel lamentiert. Man liebt es, oder liebt es eben nicht. 4×4 Camper stuft es als mutig, gelungen und einzigartig schick ein. Besten Dank für diese erfrischende Eigenwilligkeit.

Foto: Ineos Grenadier

Mutig, gelungen und schick: das Cockpit-mäßige Interieur

Die Knöpfe für die Diff.-Sperren, so finden wir, wären im direkten Blickfeld im Armaturenbrett aber sinnvoller platziert. Im Deckenpanel sucht man doch hin und wieder etwas hilflos danach. Perfekt platziert sind hier hingegen frei belegbare, werkseitig schon vorverkabelte Schalter, die es DIYlern deutlich einfacher machen, gewünschtes Zubehör nachzurüsten.

Und das Grenadier-Gestühl? Ohne Frage einer der besten Seriensitze überhaupt mit ganz hervorragendem Seitenhalt. Hier bleiben keine Wünsche offen.

Foto: Ineos Grenadier
Foto: Ineos Grenadier

Nur die Skills des Piloten setzen ein Limit

Wer gerade auf der Autobahn noch etwas griesgrämig über leicht erhöhte Innenraumgeräusche und den minimal unpräzisen Geradeauslauf des Grenadiers gemurrt hat, wird vom ersten Pistenkilometer an kaum Ansatzpunkte für Kritik finden. Der Grenadier fühlt sich im groben Geläuf pudelwohl, liefert ein erstklassiges Feedback, wandert ohne Murren durch allerlei noch so knifflige Schikanen.

Wo der Permanentallrad nicht ausreicht, helfen die Sperre fürs Mitteldifferential und die Untersetzung. Und wenn’s noch mehr Kraftverteilung auf einzelne Räder braucht, kommen Hinterachs- und später vielleicht mal Vorderachssperre (je nach Modell optional) hinzu. Jetzt liefert der Grenadier schon so viel Vorwärtsdrang im übelsten Geläuf, dass eher die ausbaufähigen Skills des Piloten ein Limit setzen werden.

Bodenfreiheit - kein Grund zum Murren

Doch Grund zum Murren? Vielleicht mit Blick auf die nicht ganz so üppige Bodenfreiheit von 264 Millimetern? Geschenkt, da muss es auf Reisen schon kernig zugehen, um den Grenadier hier an seine Grenzen zu führen. Besser Augen auf und Linie optimieren.

Wer sich wirklich daran stört, findet beim Offroad-Spezialisten Taubenreuther (Link: Galerie Seite 3) eine solide 35-Millimeter-Erhöhung und lässt sich den Grenadier gleich noch auf etwas größere Reifen stellen. Eine Kombi, die übrigens auch die Eigenwilligkeit der Kugelumlauflenkung etwas abschwächen soll.

Aber noch einmal: Kann man, muss man aber nicht machen.

Foto: Ineos Grenadier

Video

Im Video sehen Sie ausführlich den Unterschied zwischen dem Original-Grenadier und dem "Taubenreuther"-Grenadier. Video: Taubenreuther
Foto: Ineos Grenadier

Diff.Sperren auf keinen Fall vergessen

Als Reisefahrzeug bringt der Grenadier ein exzellentes Offroad-Setup mit. Die Diff.-Sperren sind für rund 2.000 Euro als Sonderausstattung buchbar und sollten auf keinen Fall vergessen werden zu ordern (Serie im Station Wagon Trailmaster). Schon allein mit Blick auf den Wiederverkauf.

Serienmäßig sind vorne und hinten je ein solider Unterfahrschutz montiert, wer mehr wünscht, wirft einen Blick in die Kataloge der Zubehör-Spezialisten. Und mit einem Böschungswinkel von 35,5 Grad vorne und 36,1 Grad hinten sowie einem Rampenwinkel von 28,2 Grad, braucht sich der Grenadier wahrlich nicht verstecken.

Für Ausbauer noch ein Blick auf die Innenmaße: Der Station Wagon streckt sich hinter der ersten Sitzreihe auf  dem Boden auf fast 1,8 Meter Länge und 1,27 Meter Breite (1,06 zwischen den Radläufen), die Laderaumhöhe ist mit 1,04 relativ begrenzt.

Robuste Bauteile

Wenig Grund zur Sorge geben die überaus robusten Bauteile des Grenadiers. Weder die Carraro-Starrachsen, noch die soliden ZF-Dämpfer oder Eibach-Federn rufen nach Optimierung. Die 265/70 R17-Bereifung geht in Ordnung, das Setup passt. Ob Federn und Dämpfung noch für erhöhte Dachlasten in Kombi mit einer Höherlegung passen? Das muss im Einzelfall geprüft werden.

Servcie, Reparaturen und Instandhaltung des Ineos Grenadier übernehmen zukünftig ausgewählte Partner aus dem 4×4-Segment und einige Bosch-Car-Service-Niederlassungen. Womit ein  bundesweit flächendeckendes Netz aus qualifizierten Werkstätten für den Ineos Grenadier geknüpft wurde.

Foto: Ineos Grenadier
Foto: Ineos Grenadier

Das Finanzielle

Kommen wir zum Finanziellen: Der Preis ist nach ursprünglichen Ankündigungen weit davongaloppiert. Zwar kann sich die Serienausstattung durchaus sehen lassen, realistisch stehen abschließend aber eher 80.000 als 70.000 Euro auf der Rechnung. Ursprünglich sollte der Grenadier mehr als 10.000 weniger kosten. Allerdings – und hier trumpft der Grenadier ohne Frage mächtig auf – man muss nicht viel investieren, um ihn für den Fernreiseeinsatz zu optimieren.

Kleine Schwächen sind verschmerzbar

Was für mich am Ende der Testfahrten stehen bleibt: Würde ich meinem besten Freund einen Grenadier für eine anspruchsvolle Offroadreise empfehlen? Ein klares Ja. Denn sein überzeugender Mix aus Komfort und Robustheit, gepaart mit überzeugendem Offroad-Potenzial, macht die Musik, seine Kernkompetenzen überzeugen. Und seine ohne Frage offensichtlichen kleinen Schwächen? Nun, vermerken wir sie unter eigenwilligen, nicht rundherum sympathischen Charaktermerkmalen – aber doch alle verschmerzbar.

Bei der Auswahl verschiedener Grenadier-Modelle fällt die Übersicht nicht sonderlich schwer. Grundsätzlich gilt: Welchen Motor man wählt, macht preislich keinen Unterschied. Die günstigsten und schlussendlich leichtesten Grenadiers starten preislich mit 71.140 Euro als Utility Wagon, wahlweise mit zwei (Ladefläche) oder fünf Sitzen. Die Station Wagons rollen in zwei Grund-Konfigurationen zum Kunden: als Trail- oder Fieldmaster, jeweils ab 81.890 Euro – bei den beiden variieren Serienausstattung und Optionen.  Die Bezeichnungen Trail- und Fieldmaster sind übrigens eine kleine Hommage an die Jacken der Marke Belstaff. Man darf raten, wem diese gehört.

Last but not least: der neu vorgestellte Ineos Grenadier Quartermaster ab 72.640 Euro. Im Grunde das optische und konzeptionelle Pendant zum Land Rover 130 – ein Pick-up mit Ladefläche und womöglich einmal mit kleiner Wohnkabine.

www.ineosgrenadier.com

www.a4x4.de

Passendes Grenadier-Zubehör

Eine Galerie mit passendem Zubehör für den Ineos Grenadier findet ihr hier.

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