> Offroad-Reise: Overlander in Argentinien

Grenzenlose Freiheit mit Rückenwind

23.09.2024
Text: Christa Jöckel | Bild: Christa Jöckel

Wilde Natur, Straßen mit Abenteuercharakter, legales Freistehen, eine meist gute Infrastruktur sowie wunderbar freundliche und hilfsbereite Menschen – all das und noch viel mehr erwartet Overlander in Argentinien.

Afrika: Viele Fernreisende haben diesen bunten Kontinent der Sehnsüchte als Reiseziel im Kopf. Hatten wir anfangs auch. Doch dabei wird ein Kontinent meist völlig übersehen: Südamerika. Und das völlig zu Unrecht. Wir, das ist eine fünfköpfige Familie auf Langzeitreise. Als wir vor einem Jahr zum ersten Mal von Uruguay nach Argentinien einreisen, wissen wir noch nicht so richtig, was uns erwartet.

Das Auswärtige Amt warnt vor Kriminalität, Fenster und Türen sollten während der Fahrt geschlossen bleiben, wichtige Dokumente sicher verwahrt werden und Kopien für den Fall eines Diebstahls griffbereit sein. Wer das liest, hält Argentinien für ein gefährliches Reiseland. Umso schöner, dass uns Land und Leute eines Besseren belehren. Sogar so überzeugend, dass das zweitgrößte Land Südamerikas heute unser absolutes Lieblingsreiseland ist.

Bildergalerie

Wir haben im Dezember 2022 spontan unser rollendes Zuhause von Hamburg nach Uruguay verschifft und reisen nach Abholung recht bald nach Argentinien ein. Wir umfahren so gut es geht die Metropolregion Buenos Aires, in der fast ein Viertel der Bewohner des ganzen Landes leben. Je mehr Menschen, desto mehr Kriminalität, denken wir uns.

Städte mit tiefhängenden Kabeln und engen Straßen sind für uns mit unserem Steyr12S21 ohnehin nicht optimal. Unser Fahrzeug fühlt sich auf Pisten und in der freien Natur viel wohler. Wir ebenfalls. In kleineren Städten decken wir uns hingegen gerne mit allem Notwendigen für die Überlandreisen und das Leben auf der Piste ein. Große Supermärkte und kleine Läden bieten uns alles, was wir dafür brauchen.

Camping und der gemeinsame Aufenthalt im Freien ist in Argentinien ein Lebensgefühl, das im Rahmen der eigenen Möglichkeiten überall ausgelebt wird. So gibt es in fast jeder größeren Siedlung Dorfplätze mit Grillmöglichkeit, Wasseranschluss und manchmal sogar Steckdosen. Alles zur freien Verfügung für die  Allgemeinheit. Einmal finden wir sogar einen öffentlichen Pool auf einem Dorfplatz. In diesen Dorfoasen dürfen wir sogar unseren Wassertank füllen. Ein Angebot, das wir immer gerne annehmen, während wir eine kleine Mittagspause einschieben.

Foto: Christa Jöckel

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Unser Fahrzeug Steyr12S21

Unser  ist mit permanentem Allradantrieb ausgestattet und war früher bei der Wasserwacht in Österreich im Einsatz. Nach dem Umbau und einigen Urlaubsfahrten ist er seit eineinhalb Jahren unser festes Zuhause. Wir leben zu fünft auf einer Länge von ca.
7,50 Metern und sind etwa 3.60 Meter hoch (mit geschlossenem Dachzelt). Im Fahrerhaus können alle bequem sitzen und die Landschaft während der Fahrt genießen. Durchstiege zum Dachzelt und zur Wohnkabine ermöglichen es, auch bei Regen im Trockenen zu bleiben.

Die Kombi aus Dachzelt und Wohnkabine bietet uns außerdem größtmöglichen Wohnraum in einer möglichst kurzen Wohnkabine. Ist das Wetter doch mal so schlecht, dass das Dachzelt geschlossen bleiben muss, können wir die Sitzgruppe zum Bett umbauen. Mit 800 Watt Solar auf dem Dach und Wasserfilter im Gepäck sind wir recht autark unterwegs und brauchen außer dem Zugang zu Wasser und Lebensmittel nichts weiter, um uns wohlzufühlen.

Freistehen in Argentinien

Die städtischen Campingplätze sind günstig und ebenfalls fast immer mit festen Grillplätzen ausgestattet. Im heißen Norden haben sie oft auch Bademöglichkeiten wie Pools, Zugänge zum Fluss oder Meer. Wer lieber in die Einsamkeit möchte, der findet in Argentinien unzählige Möglichkeiten.

Freies Campen ist überall dort erlaubt, wo es nicht explizit verboten ist. Das Land ist riesig und die Bevölkerungszahl gering. Wir erleben von Anfang an echte Gastfreundschaft, aufrichtiges Interesse an uns und unserem Fahrzeug und Anerkennung für unsere lange Reise. Kaum ein Zwischenstopp verläuft ohne kurzes Gespräch mit den Einheimischen, Instagram-Konten werden ausgetauscht und Tipps für besonders schöne Orte im Land an uns weitergetragen.

Auf Camping- oder Dorfplätzen werden wir häufig zum Asado eingeladen (besondere Art des Grillens). Tim ist mit seinen blonden Haaren hier oft der Star.
Foto: Christa Jöckel

Unser 12-jähriger Sohn Tim kommt mit seinen langen blonden Haaren bei der einheimischen Bevölkerung besonders gut an. Alle lieben ihn und selbst die älteren Jugendlichen möchten ihn unbedingt zum Asado (Grillen) einladen. Dabei spielt es absolut keine Rolle, dass außer mir in der Familie keiner wirklich Spanisch spricht und die Argentinier selten Englisch oder Deutsch können. Kurzum: Sprachbarrieren sind stets völlig nebensächlich.

Verlassen wir die Hauptverbindungsstraßen, geht es auf Pisten weiter in die Einsamkeit. Wilde Pferde und Esel laufen uns hier täglich über den Weg. Noch häufiger sogar Hasen und Vicuñas, die kleinsten der Andenkamele und mit den bei uns bekannteren Alpakas verwandt. Tagsüber begleiten uns die Rufe der Papageien und nachts hören wir die Füchse.

Die Pisten sind oft nicht ohne, es schüttelt und rüttelt uns gut durch, unser Steyr muss häufig zeigen, was in ihm steckt. Doch diese besondere Herausforderung und das Abenteuer haben wir ja schlussendlich gesucht. Was wohl in der Abgeschiedenheit hinter der nächsten Kurve auf uns wartet? Mal sind es enge Pisten an der Abbruchkante eines Flusses oder dicht an steilen Felshängen entlang, mal tiefe, ausgewaschene Gräben und Flussbetten mit unbekannter Festigkeit, die uns bei der Durchquerung ein wenig Adrenalin ins Blut treiben.

Nicht selten tragen uns die Pisten auch in Höhen weit über 4.000 Meter über Null und ein anderes Mal verlieren sie sich in der Weitläufigkeit des Landes und wir müssen uns unseren eigenen Weg suchen. Doch wo es uns auch hin verschlägt; die Tage klingen nicht selten mit einem gemütlichen Lagerfeuer aus, in the middle of nowhere – in völliger Einsamkeit.

Ausbrechen aus der Einsamkeit

Doch selbst wir müssen hin und wieder ausbrechen aus der Einsamkeit oder wünschen uns, größere Strecken etwas schneller abreißen zu können in diesem riesigen Land. Dann heißt es durchaus für uns einmal: Kurs nehmen auf eine der Hauptverkehrsstraßen, die die wichtigsten Knotenpunkte des Landes verbinden. Diese sind zwar auch nicht immer geteert, aber doch weitaus besser in Schuss als die holprigen Nebenpisten.

Ob im 4×4-Krabbelgang durch die Berge oder im flotten Reisetempo über die Hauptverkehrsadern: Wir durchfahren dabei unglaublich abwechslungsreiche Landschaften. Argentinien lockt mit wilden Höhenzügen, verschneiten und vergletscherten Bergkämmen über Dschungellandschaften bis hin zu Wüsten- oder Küstenregionen. Von den Tropen bis zur Subantarktischen Zone.

Einer der Plätze, an denen wir uns häufig wiederfinden, während wir den Norden erkunden, ist die Stadt Salta. Ausgestattet mit einem riesigen Pool, Grillstellen und schattenspendenden Bäumen, ist der städtische Campingplatz zusammen mit Orten wie Ushuaia oder El Calafate einer der größten Overlander-Treffpunkte des Landes und wir genießen es, endlich wieder andere Reisende zu treffen. Eigentlich wollten wir nur einmal für ein paar Tage bleiben. Am Ende zieht es uns während unserer kompletten Reise sechs Mal hierher.

Auch eines unserer Highlights liegt nördlich von Salta. Wir fahren in den Nationalpark Calilegua und erfreuen uns an kurzen Wanderungen durch den Dschungel, bevor wir uns auf einer ziemlich engen und nicht immer guten Piste hoch in die nebelverhangenen Berge bis in das Städtchen San Francisco durchschlagen. Hier feiern wir mit den Einheimischen Fasching und erkunden mit einem Guide zu Pferd den dichten Dschungel. Unser Steyr hat bei den vielen Bäumen eben auch seine Grenzen.

Auf Nebenstraßen, so wie hier im subtropischen Nationalpark Calilegua, wird es manchmal eng und kurvig.
Foto: Christa Jöckel

Allumfassende Stille

Unser größtes Abenteuer, eine 10-tägige Pistentour durch die Puna, starten wir ebenfalls in Salta. Das Hochplateau der Puna liegt etwa zwischen 3.500 und 5.000 Meter über dem Meeresspiegel und ist von trockenem Klima geprägt. Weil viele Pisten extrem abgelegen verlaufen und es dort keinen Handyempfang gibt, beschließen wir, uns mit einem zweiten Fahrzeug zusammenzutun. Das minimiert das Risiko im Falle einer Panne.

Die Tour bleibt ein unvergessliches Highlight: Wiesen aus gelbem Punagras, das sich vom tiefblauen Himmel abhebt, wechseln sich mit Vulkangestein, riesigen Schlammdünen und trockenen Kieslandschaften ab. Salzseen und Lagunen voller Flamingos sind keine Seltenheit. Schneebedeckte Vulkane recken sich hoch in den Himmel. Oft sehen wir Nandus und Vicuñas. Die Nächte sind so sternenklar, wie wir es noch nie zuvor erlebt haben. Dazu diese allumfassende Stille. Es ist einfach atemberaubend – und dies im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Luft ist hier tatsächlich sehr dünn und sauerstoffarm.

Nicht nur wir merken das, auch unser Steyr braucht morgens in der Kälte deutlich länger, bis er endlich anspringt. Dann hustet er ein paar kräftige Dampfwolken aus dem Auspuff hervor, bevor er schlussendlich doch wieder verlässlich seinen Dienst aufnimmt. Auch unser Begleit-Defender hustet und dampft vor sich hin. Im Gegensatz zu einigen neuen, massiv beeinträchtigten Fahrzeugen, von denen wir hörten, haben unsere alten Kisten aber sonst keine Probleme mit der Höhe. Und auch unsere Webasto-Standheizung mit Höhen-Kit schafft es täglich, uns einzuheizen. Das ist auch nötig, denn während es am Tag recht warm ist, kühlt es nachts auf frostige Minusgrade ab.

Einzigartig: Wir nehmen am traditionellen Fest zu Ehren der Pachamama teil.
Foto: Christa Jöckel

In dem Dörfchen Antofalla werden wir dann spontan eingeladen, am Fest der Flagge und der Pachamama teilzunehmen. Nach einer ergreifenden Ansprache wird der Pachamama, die sowas wie die Mutter Erde verkörpert, gehuldigt. Sie soll mit den Gaben milde gestimmt werden, damit die Vulkane weiterhin ruhig bleiben, die Ernten gut ausfallen und das Trinkwasser nicht versiegt.

Damit die gute göttliche Dame die Bitten der Einwohner berücksichtigt, bekommt sie eine unglaubliche Menge an Alkohol, Kokablättern und Zigaretten gespendet. Pachamama weiß offensichtlich, wie man so richtig einen drauf macht.

Hunderte Glattwale mit ihren Kälbern

Neben den vielen Offroad-Abenteuern, die man in ganz Argentinien erleben kann, sollten sich Reisende immer wieder ausreichend Zeit für all die landschaftlichen und kulturellen Highlights des Landes nehmen: Wir staunen über die riesigen Iguazu-Wasserfälle, die Ruinenstätten der Quilmes, betrachten fasziniert die altertümlichen Wandmalereien, Museen und Dinosaurierausgrabungsstätten. Unvergessliche Highlights unserer Entdeckungsreise. Wir stolpern unterwegs immer wieder über interessante Dinge – was ein wenig verwundert, denn Argentinier haben offenbar wirklich keine Ahnung von Werbung und Vermarktung.

Auch die Küste ist zwischen August und November ein echtes Highlight. Als wir etwas außerhalb von Puerto Madryn am Strand ankommen, wissen wir gar nicht, wie wir in Worte fassen sollen, was wir sehen. Hunderte Glattwale sind im Wasser und man kann vom Ufer aus zuschauen, wie sie mit ihren Kälbern keine 10 Meter vor der Küste ihre Runden ziehen, aus dem Wasser springen oder ihre Flossen in den Himmel recken.

Auch die Seeelefanten kommen zu dieser Jahreszeit an die Küste. Sie bringen hier ihre Babys zur Welt und versorgen sie die ersten Wochen, bis diese groß genug sind, um allein aufs Meer hinauszuschwimmen. Dank unseres geländegängigen Steyrs stehen wir oft völlig allein irgendwo an einem abgelegenen Strand und können vom Bett aus die Wale oder weiter südlich die Seeelefanten hören.

Patagonien, der wilde Süden des Landes, lockt mit unzähligen Wandermöglichkeiten entlang verschneiter Berggipfel oder glasklaren Gletscherseen.
Foto: Christa Jöckel

Wirklich verliebt in die Landschaft haben wir uns allerdings in der patagonischen Andenregion. Hier finden wir glasklare Flüsse, schneebedeckte Berge und sattgrüne Wälder. Frei zugängliche Nationalparks, die uns ihre wilde Schönheit präsentieren, runden das Ganze ab.

Egal, ob am Fitz Roy, am Perito Moreno Gletscher oder im eher unbekannten Perito Moreno Nationalpark – alles ist herrlich unkompliziert, man kann unbeschwert wandern gehen und die Natur genießen. Für Mehrtageswanderungen gibt es oft sogar eine gute Infrastruktur mit Campingplätzen oder Refugios. Lagerfeuer sind in Patagonien häufig nicht gestattet. Wen wundert das bei den heftigen Winden, die hier wehen und Funken weitläufig in den manchmal trockenen Wäldern verteilen? Waldbrände sind keine Seltenheit und diese gilt es natürlich immer zu vermeiden.

Pannen während der Reise

Unser Steyr hat das halbe Jahr in Argentinien recht gut überstanden. Pannen hatten wir insgesamt wenig, auch wenn man merkt, dass die vielen Rüttelpisten ihren Tribut fordern. Immer wieder lösen sich Schrauben, die regelmäßig kontrolliert und nachgezogen werden müssen. Zweimal hat es uns den Schlauch vom Ladeluftkühler vom Stutzen gerüttelt, weil die Schlauchschelle sich gelockert hat.

Auch unsere Tankhalterung hat sich irgendwann verabschiedet und musste nachgeschweißt werden. All das sind aber Kleinigkeiten, die man am Straßenrand schnell repariert oder provisorisch gefixt bekommt. In der nächsten Werkstatt kann man im Zweifel immer schnell fachkundige Hilfe erwarten.

Immer wieder fallen kleine Reparaturen an – das bliebt nicht aus, wenn man auf teils ruppigen Pisten unterwegs ist.
Foto: Christa Jöckel

Nur einmal hatten wir eine echte Panne. Auf einer extrem schlechten Piste hatte es unseren Stoßdämpfer abgerissen, der wiederum die Bremsleitung durchschlagen hatte. Nachdem wir aber unsere Blattfedern in einer Werkstatt verstärken und uns ein System zur automatischen Reifendruckregelung einbauen ließen, war unser Steyr besser für diese Art der Pisten gewappnet und dem Offroadspaß fast keine Grenzen gesetzt.

Jedem, der darüber nachdenkt, mit dem eigenen Wohnmobil durch Afrika zu reisen, aber vor Krankheiten und Kriminalität zurückschreckt, sei gesagt: Abenteuer kannst du in Argentinien auch erleben. Im Gegensatz zu vielen Teilen Afrikas gibt es hier aber kaum gefährliche Krankheiten (im Norden ist Dengue-Fieber ein Thema), grenzenlose Freiheit und eine aufrichtige, liebenswürdige Nation, die dich jederzeit willkommen heißt und dir immer uneigennützig und hilfsbereit unter die Arme greift, wenn du es brauchst. Kurzum: Argentinien ist eine Reise wert.

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