Schon spannend, welch neuartige Konzepte noch nach 40 Jahren serieller Kastenwagen-Fertigung entstehen, wenn gängige Grundrisse konsequent infrage gestellt werden. Oder wenn man seine Kunden anhört: Die Basis für das Konzept Rocket Camper war neben den eigenen Erfahrungen der branchenkennenden Entwickler das Feedback aus hunderten Kundengesprächen.
Scheinbar fragt sich eine nicht ganz kleine Gruppe Camper, ob ein reduziert ausgebauter Kastenwagen nicht deutlich flexibler nutzbar wäre. Ein offener Raum, der zum Bleiben einlädt, sperriges Gepäck oder auch größere Familien aufnimmt. Eine Nasszelle mit fest verbauter Toilette, Waschbecken und Duschtasse stand dagegen auf der Abschussliste. Seit 2019 begegnet man diesem Mangel in Remshalden bei Stuttgart mit dem Rocket One. Das Konzept wurde inzwischen auf mehrere Fahrzeuglängen adaptiert, zum Praxistest jedoch stellt sich das Original, der Rocket One M, auf sechs Meter langem Fiat Ducato. Und das bei wenig idealen Bedingungen: Ein Trip ins spätherbstliche, nasskalte Allgäu soll ungeschönt verraten, was an Komfort bleibt im luftig ausgebauten Rocket.
Doch das mit dem Komfort beginnt bereits vor Abfahrt: Statt umlaufender Dachstauschränke setzt Rocket Camper auf robuste Packtaschen, die zu Hause eingeräumt und anschließend an entsprechenden Kederschienen überall im Fahrzeug befestigt werden können. Zwei Gear-Bags, die an größere Kulturbeutel erinnern, gehören zur Serienausstattung, die noch geräumigeren Stautaschen für je 146 Euro sind kein günstiges, aber lohnendes Extra. Gepäcknetze an den Seitenwänden und Sitztaschen nehmen den restlichen Kleinkram auf, der sonst immer irgendwo im Camper rumfährt.
Also Abfahrt! Unterwegs bleibt es lobenswert leise im Rocket One M. Weder knarzende Möbel noch Windgeräusche (Rahmenfenster sind Serie) stören die Unterhaltung mit dem Nebenan – auch das ist ein nicht zu unterschätzender Komfortfaktor in einem alltagstauglichen Kastenwagen. Zumal man hier eine bisher wenig beachtete Zielgruppe erschließt: Bis zu drei bequeme, optional Isofix-taugliche Einzelsitze von Zulieferer Schnierle machen den Rocket One zum fünfsitzigen Pampersbomber.
In der Basisversion fährt der Kastenwagen mit einzelnem Sitz in zweiter Reihe vor – dann genießen Paare den Reiz des Raumes gleich doppelt. Der entsteht in erster Linie durch bereits erwähnten Wegfall der Nasszelle. Auch auf andere deckenhohe Möbel, die oftmals und spätestens in der Mehrzahl verbaut beklemmend wirken, wurde verzichtet.
Stattdessen sieht der Rocket-Grundriss eine mittig und quer verbaute Möbelzeile vor, die fahrerseitig durch einen schmaleren L-Schenkel ergänzt wird. In ihm finden 48 Liter Frischwasser und ein formschönes, wertiges GfK-Spülbecken Platz. Weil das Becken neben dem Ausguss auch über einen Einfüllstutzen fürs Frischwasser verfügt (und weil der Außenstromanschluss per Defa-Stecker elegant unter der Motorhaube angebracht wurde), spart man sich unnötige Karosserieausschnitte, die mit unschönen Abdeckungen wieder verblendet werden müssen.
Am eigentlichen Küchenblock – ein Konstrukt aus Echtholz- und Linoleum-beschichtetem Pappelsperrholz mit durchweg wertigen Auszügen und Scharnieren – sind Kocher, Kühlschrank, Vorräte und eine mobile Kassettentoilette untergebracht. Die doppelten Schubladen sorgen für eine saubere Optik, sie sind jedoch so aufgeteilt, dass mindestens einer Besteckschublade viel zu viel Höhe zu- und darunter kein wirklich großer Topf mehr unterkommt.
Dabei würde dieser auf dem Einflammkocher von Dometic locker befeuert werden können. Ein zweites Kochfeld findet man übrigens auf der Optionsliste – uns gefällt die zusätzliche Arbeitsfläche (47 mal 33 Zentimeter) jedoch ganz gut, zusammen mit der Möglichkeit, hier einen mobilen Gaskartuschenkocher zu platzieren. Der ist fürs Draußen-Kochen ohnehin immer dabei.
Dass die Tür des Kühlschranks mit absolut ausreichenden 80 Liter Volumen nicht beidseitig angeschlagen ist, bedeutet bei diesem Grundriss nicht wirklich einen Komfortabstrich. Viel wichtiger, dass der Kompressor verhältnismäßig leise arbeitet – schließlich schläft man direkt nebenan. Ins Bett gelangt man über den Küchenblock. Dank Schwerlastauszügen und einem robusten Deckel fungiert das mobile Örtchen (Upgrade zur Trenntoilette 530 Euro) als Trittstufe, während ein Kissen auf der Arbeitsfläche die Knie schont. So gelingt die Turnübung mühelos.
Das Querbett misst 191 mal 142 Zentimeter. Es mutet jedoch größer an, wahrscheinlich weil die Angst entfällt, im Schlaf eine Plisseeverdunkelung zu zerstören – die ersetzt Rocket Camper durch robuste Rollos mit Fliegengitter und Magnetverschluss. Wer das Bett auch wirklich größer möchte, ordert den Topper (345 Euro), der über den Küchenblock baut und so 45 zusätzliche Zentimeter Breite oder eben 187 Zentimeter lange Längsbetten generiert. Des Komforts wegen braucht man den Topper aber definitiv nicht. Die Matratze ist ziemlich weich, was man mögen muss. Dank Tellerfedersystem spüren aber auch Seitenschläfer nichts von der eigentlichen Unterkonstruktion.
Wo eben noch der Kühlschrank lobend erwähnt wurde, gibt die unterflur verbaute 4-kW-Luftstandheizung von Webasto Anlass zur Kritik – die heizt einwandfrei, will aber zumindest in unseren Testnächten nicht so recht in einen ruhigen Dauerlauf geraten. Wenn nicht nur Luft, sondern auch Wasser erwärmt werden soll, muss der Rocket mit optionalem Boiler (799 Euro) geordert werden.
Das Extra war im Testwagen nicht verbaut, würde ohnehin aber nur bei 230-Volt- Versorgung auf dem Campingplatz funktionieren, wo in der Regel eine warme Dusche zur Verfügung steht, oder bei laufender Standheizung, die man im Sommer genau so wenig braucht wie warmes Wasser. Ob man sich mit der (kalten) Außendusche arrangieren kann, muss jedem selbst überlassen bleiben.
Das typische, zweite Waschbecken einer Nasszelle dagegen ist definitiv unnötiger Luxus auf so wenig Raum und die schweren, blickdichten Vorhänge, die Rocket Camper um das Schubladen-Klo verbaut, schützen die Mitreisenden auch nicht schlechter vor Geräuschen und Gerüchen, als es die windigen Badtüren tun. Ganz allgemein sei erwähnt, dass sich das Duschvergnügen auch im Camper mit Bad und Boiler in Grenzen hält – länger als drei, vier Minuten darf es bei den üblichen Wasservorräten (maximal 110 Liter) und Pumpenförderleistungen (10 bis 25 Liter pro Minute) eigentlich nicht dauern.
Die aus den bereits erwähnten Einzel- und den Fahrerhaus-Drehsitzen entstehende Sitzgruppe stattet Rocket Camper mit einer seitlich angeschlagenen, hängenden und 98,5 mal 45 Zentimeter großen Tischplatte aus. Die Konstruktion ist erstaunlich stabil, hier wackelt deutlich weniger als bei vielen Tischen mit Standbein, das zudem gerne mit den menschlichen Beinen um den vorhandenen Platz konkurriert.
Zu zweit oder dritt reicht die Tischfläche (eine ausdrehbare Verlängerung gibt es nicht) gut, zu fünft würde es wahrscheinlich doch ziemlich eng. Das liegt auch am Grundriss, denn der gängigere Küchenblock in der Schiebetür kann hier oft mit klappbaren Ablagen punkten. Andererseits ist eine Sitzgruppe für Fünf im Segment der Kastenwagen schon etwas Besonderes, zumal stets ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit gewährleistet ist.
Damit die fünf Camper nicht nur tagsüber, sondern auch nachts unterkommen, verfügt der Testwagen über ein optionales Aufstelldach. Auf den ersten Blick mutet es klassisch an, mit 200 mal 130 Zentimeter großer Liegefläche, einer großen Ablage und einem Zeltbalg mit drei Fenstern, von denen sich das vordere auch vollständig öffnen lässt. Eine Dachluke, die Unterfederung, eine LED-Lichtleiste und eine Schwanenhalsleuchte mit USB-Steckdose stehen als weitere Extras auf der Aufpreisliste.
Wer genauer hinschaut, erkennt ein von Rocket Camper selbst konstruiertes Dach, das durch seine recht aufwendige Formgebung geringere Wandstärken erlaubt und so allem voran Gewicht spart. 90 Kilogramm gibt der Hersteller für das Dach an – gut 40 Prozent weniger als anderswo. Das zulässige Gesamtgewicht (3.500 Kilogramm serienmäßig) war sicher aber auch ein Knackpunkt bei der Entwicklung, gerade weil der TÜV mit mächtig schweren Kids rechnet (immer 75 Kilogramm pro Person) und außerdem zehn Kilogramm Gepäck pro Sitzplatz, wie unsere Ladetabelle verrät.
Und das Fazit zum Rocket One M? Kommt auf die Nutzung an! Wenn fünf Personen in einem sechs Meter kurzen Kastenwagen rumwuseln, gibt es wohl nichts Besseres als den Rocket-Grundriss. Die Abstriche beim Bad sind in der Praxis kleiner als die Vorteile durch den gewonnenen Raum – man darf nur die Badeklamotten nicht vergessen.
Zu zweit stellt sich jedoch die Frage, ob der große Wohnraum nicht beinahe verschwenderisch ist. Dieser Eindruck entsteht in erster Linie, weil das mittig im Fahrzeug platzierte Küchenmodul ohne Durchlade größere Transportaufgaben erheblich erschwert. Paare, die ihre Fahrräder oder Surfboards auf den passenden Trägern transportieren, greifen also getrost zum 5,41 Meter kurzen Rocket One S mit gleich großem Querbett. Der Preis ist jedenfalls angemessen für die in Kleinserie gefertigten Rockets, und die Qualität deulich besser als in der Großserie. www.rocket-camper.de
Infobox
- Basisfahrzeug: Fiat Ducato 35 Light, Vierzylinder-Turbodiesel,
Hubraum 2.184 cm³, Leistung 88 kW (120 PS) bei 3.500/min,
max. Drehmoment 320 Nm bei 1.400/min., Sechsgang-Schaltgetriebe,
Frontantrieb, Euro 6d final - Maße und Massen: (L x B x H) 599 x 205 x 258 cm; Radstand
297 cm; Masse in fahrbereitem Zustand: 2.890 kg (Herstellerangabe),
Zulässige Gesamtmasse 3.500 kg - Aufbau: Stahlblechkarosserie mit GfK-Aufstelldach,
Einzelradaufhängung mit McPherson-Federbein vorn,
Starrachse an Längsblattfedern hinten. Stehhöhe 187 cm.
Geräusch- und wärmedämmende Isolierung an Wand
(19 mm Armacel) und Boden (28 mm PU).
Filzkaschierung an Seitenwänden und im Fahrerhaus.
Rahmenfenster mit Insektenschutz und Verdunkelun - Betten: Heck-Querbett 191 x 142 cm,
Aufstelldach: 200 x 130 cm - Füllmengen: Frisch-/Abwasser 48/45 l innen-/außenliegend;
Kühlschrank: Dometic 78 l Kompressor;
Gas 2,75 kg. Diesel 90 l, AdBlue 19 l - Serienausstattung: (Auszug)
Küchenmöbel, Tisch und Dachstauschränke aus Echtholz-
und Linoleum-beschichtetem Pappelsperrholz
mit geölten Sichtkanten, Schnierle-Schienenboden mit
Einzelsitz, freitragendes Bettgestell, Serviceklappe für Außendusche,
Kederschienen an allen Seitenwänden und Hecktüre,
textile Raumteiler, herausnehmbare Gear-Bag - Sonderausstattung: (Auszug)
Aufstelldach mit Komfortmatratze, Beleuchtung & Dachfenster 6.780 €,
vierter Sitzplatz für Schienensystem 1.210 €,
18-Zoll-Radsatz mit AT-Bereifung 3.450 €,
Ambientebeleuchtung und Steckdosen für Dachstaukästen 299 €,
Topper plus Bettverlängerung 345 €, Fahrerhaus-Verdunkelung 695 €
- Testverbrauch: 9,7 l/100 k
- Grundpreis: Je nach Basis:
68.750 € (Peugeot Boxer),
71.750 € (Fiat Ducato)
Testwagen: 87.562 €