Wenn dem Grand Canyon S überhaupt etwas fehlte – zumal dem Editionsmodell – dann waren es die letzten Zentimeter an Sitzgruppe, Bad und Betten. Hier kommt der neue 700er ins Spiel.
Mehr Wohnraum für überschaubaren Aufpreis
Etwas über 4.000 Euro und damit nicht einmal drei Prozent vom Testwagenpreis für einen Meter zusätzlichen Wohnraum – der Deal klingt nicht schlecht und als Alltagsauto ist selbst der 600er Grand Canyon S grenzwertig, spätestens mit Allrad, Schlechtwegefahrwerk und AT-Bereifung. Warum also nicht?
Auf dem Papier spricht vieles für das Upgrade auf den langen Radstand. Gerade beim Sprinter mit seinem langen Vorderwagen und der schmalen Karosserie. Außer für die jüngere Zielgruppe – das leidige Thema mit dem Führerschein. Aber auch das war spätestens mit der Option Allrad schon immer präsent.
Allradsysteme im Schnee-Test
Im Rahmen einer Mercedes-Benz-Veranstaltung bot sich dem jüngeren Teil der Redaktion nun dennoch die Gelegenheit. Auf den schneebedeckten Kehren der für den öffentlichen Verkehr gesperrten Timmelsjoch Hochalpenstraße sollten die verschiedenen Allradsysteme zeigen, was sie so alles drauf haben.
Von der C- bis zur gepanzerten S-Klasse war alles vertreten, was einen Stern im Kühlergrill trägt und ein Verteilergetriebe unterflur. Nur der 700er Grand Canyon, der war allein als Basecamp gedacht. Wieder nichts mit fahren, zu früh gefreut. Doch immerhin: Für die Sechs-Meter-Variante wird die Schranke geöffnet.
Fahrsicherheit mit Allradtechnik
Schon spannend, das Thema Allrad mal weniger durch die Offroad-Brille zu betrachten. Schließlich bringt das Antriebskonzept auch ganz entscheidende Vorteile beim Thema Fahrsicherheit auf rutschiger Fahrbahn.
Per „Torque-on-Demand“ wird das Antriebsmoment bedarfsgesteuert zwischen Hinter- und Vorderachse verteilt. Das System ist permanent aktiv, sodass der Sprinter die 30 schneeglatten Spitzkehren mit bis zu 13 Prozent Steigung tatsächlich souverän und ohne übermäßiges Zutun des Fahrers hinauf marschiert. Schlupf wird selbstverständlich zuverlässig weggeregelt, und wenn man sich einmal auf den Untergrund eingeschossen hat, gelingt das, ohne dass einen das ESP zu sehr ausbremsen würde. Und falls doch, mit 190 PS und maximal 400 Newtonmetern schiebt der OM 654 kräftig an.
Bergab heißt es aber natürlich: vorausschauend fahren, denn auch die Masse schiebt, Allrad hin oder her.
Aber es ist schon phänomenal, wie viel Sicherheit der Sprinter vermittelt. Sicherlich auch in der Sieben-Meter-Version mit langem Radstand – da sind eher der Wendekreis und Offroad auch der Rampenwinkel ein Thema, trotz der Höherlegung von 155 Millimeter vorn und 135 Millimeter hinten, die der Allradantrieb mitbringt.
Also verbaut Hymer die Offroad-Trittstufe von Alphadynamik (950 Euro), die hinter dem Schweller verschwindet und die Bodenfreiheit nicht weiter einschränkt. Und damit zurück zum 700er.
Lichtkonzept
Der neue, große Bruder übernimmt das sehr gelungene Innendesign und die Technik samt Smart-Battery-System, Hymer Connect App und vierstufigem Lichtkonzept, das sich in Zone, Helligkeit und Lichttemperatur regeln lässt.
Neben der App-Steuerung gibt es weiterhin aber auch haptische Lichtschalter – so viele, dass es eine gewisse Zeit lang dauert, bis man sich einen Überblick über deren Zuordnung verschafft hat. Und: Die fest verbauten LED-Lichter genügen allemal, um den Sprinter taghell auszuleuchten oder um ein gemütliches Ambiente zu schaffen.
Das optionale Lichtpaket (260 Euro) mit einer Pendel- und zwei Leseleuchten braucht es eigentlich nicht – zumal die Stehhöhe (190 Zentimeter) alles andere als optimal ist für eine Pendelleuchte und die Positionierung der Leseleuchten teilweise fraglich.
Sitzgruppe
Auch die Aufteilung gleicht der des kleinen Bruders. Für die Sitzgruppe, die durchs Drehen der Fahrerhaussitze entsteht, hätte Hymer alternativ auch einen klappbaren Tisch ohne störendes Bein im Angebot.
Jedoch verfügt nur die im Testwagen verbaute Variante (88 mal 44 Zentimeter) über eine 31 Zentimeter lange, ausdrehbare Erweiterung – keine schlechte Idee, besonders wenn das Fahrzeug mit mehr als zwei Personen genutzt werden soll.
Dennoch: Auch wenn zwei Personen auf der 86 Zentimeter breiten Rückbank Platz nehmen müssen, wird es eng. Sitz- und Rückenpolster sind großzügig ausgeformt, was die Bank bei Alleinnutzung wiederum sehr bequem und langstreckentauglich macht.
Kompakte Küche
Die Küchenzeile wird sogar eins zu eins vom Grand Canyon S 600 übernommen. Hymer setzt auf einen kompakten Küchenblock im Bereich der Schiebetür, der durch einen Hängeschrank und einen hochgesetzten Kompressorkühlschrank erweitert wird. So bleibt reichlich Platz für Geschirr und Vorräte und das Kühlgut ist griffbereit verstaut, ohne dass man sich in den 46 Zentimeter schmalen Mittelgang bücken muss.
Als Arbeitsfläche taugt die Möbelplatte über dem Kühlschrank aber natürlich nicht, höchstens als Ablage. Zum Schnibbeln muss ein 25 mal 39 Zentimeter großes Einhängebrett genügen.
Zum Kochen und Spülen dient ein Kombigerät von Dometic. Die Spüle misst 26 mal 26 Zentimeter und auch der Zweiflammkocher mit Gussrost und elektrischer Zündung ist ausreichend groß, um zwei Töpfe gleichzeitig befeuern zu können.
Haken fürs Geschirrtuch und eine 230-Volt-Steckdose sind ab Werk verbaut, weiteres Zubehör optional erhältlich. Im Testwagen ist besonders das magnetische Geschirr von Silwy zu erwähnen, aus Echtglas und Porzellan, sehr hochwertig, aber auch ordentlich schwer und teuer.
Komfortables Kompaktbad
Zwar bietet der 700er zwischen Küche und Bett noch Platz für ein schmales Schränkchen mit Kleiderstange – echte Argumente für den langen Radstand liefert jedoch erst die Nasszelle gegenüber.
Das Kompaktbad aus dem kurzen Grand Canyon S (90 mal 75 Zentimeter) ist in der Länge um über 30 Zentimeter gewachsen. Statt dem Duschvorhang, der einem auf wenig Raum immer am Körper klebt, teilen eine Schwenkwand und eine Gliedertür den Toiletten- vom Duschbereich. Auch durch das platzsparende Klappwaschbecken: Die Bewegungsfreiheit ist wirklich erste Klasse, höchstens für überdurchschnittlich große Camper in der Stehhöhe eingeschränkt.
Das Stauraumangebot wächst ebenfalls ein wenig. Mit mehreren offenen Ablagen und dem Schränkchen sollten zwei Personen gut auskommen, wenn die Handtücher anderswo unterkommen.
Negativ fällt hingegen auf, dass der zweiteilige Kork-Einleger bröselt und unhandlich ist und dass auch die Decke im Bad mit Stoff bespannt ist – also besser großzügig Lüften.
Ein seitliches Fenster und eine Dachhaube sind serienmäßig verbaut.
Schlafbereich mit großem Bett
Über einen klappbaren Tritt, der an der Schottwand befestigt ist, geht es bequem ins Bett. Auf sieben Metern ist die Liegewiese freilich längs angeordnet, im Hymer 200 Zentimeter lang und 168 Zentimeter breit.
Auch hier hat der große Bruder klar die Nase vorn, und der Camper hat bessere Chancen, seinen Partner nicht aufzuwecken, wenn er nachts mal raus muss. Der Hersteller verbaut eine dreiteilige, 13 Zentimeter starke Matratze mit integriertem Kunststoff-Lattenrost. Zwar befindet sich der Spalt jeweils genau im Liegebereich, doch er ist kaum zu spüren.
Theoretisch fehlen auch offene Ablagen, doch die Kopffreiheit unter den umlaufenden Dachstauschränken ist ohnehin nicht allzu großzügig – da ist das Einhängebrett der Küche eine brauchbare Alternative. Hymer bietet außerdem an, den quer verbauten Dachstauschrank abzubestellen. Auch das ist keine schlechte Wahl, etwa um im Hocken, angelehnt an die Hecktüren, lesen zu können.
Viel Stauraum für lange Reisen
Denn: Stauraum ist massig vorhanden. Unter dem Bett, das mit einem Handgriff zur Seite geklappt werden kann, findet sich eine riesige Heckgarage, und seitlich mehrere große Schubladen, Stauschränke und ein Regal mit Filzkörben. Dafür ist ein Teil der Technik unterflur (isoliert und beheizt) angebracht und über Bodenklappen erreichbar. Zurrschienen sind ab Werk an Bord und optional auch ein wertiges Tisch/Stuhl-Set.
In puncto Platz für Gepäck avanciert der 700er tatsächlich zum Fernreisemobil. Weitere, zugegebenermaßen kostspielige Kreuzchen in der Ausstattungsliste machen auch die Technik fit für lange Reisen – allem voran das Autarkie-Paket mit 320 Ah Lithium-Batteriekapazität, 190-Wp-Solaranlage, Ladebooster und Wechselrichter. Und wenn dem 1,8-kW-Elektroheizstab (560 Euro) bei minus 14 Grad am Timmelsjoch die Puste ausgeht, schaltet die Truma Combi um auf den 6-kW-Dieselbetrieb, und alles ist fein. Klar, für 143.850 Euro darf ein gewisser Komfort-Standard erwartet werden. Aber gerade da bietet der 700er, allein durch seine schiere Größe, viele Vorzüge gegenüber seinem kleinen Bruder.
Infobox
Technische Daten
Basisfahrzeug: Mercedes-Benz Sprinter 419. Vierzylinder-Turbodiesel mit AdBlue und SCR-Katalysator. Hubraum 1.950 cm³, Leistung 141 kW (190 PS) bei 3.800/min, max. Drehmoment 400 Nm bei 1.400/min. Neun-Gang-Wandlerautomatik, über Lamellenkupplung elektronisch geregelter Allradantrieb. Abgasnorm Euro 6e
Maße und Massen: (L x B x H) 697 x 206 x 276 cm, Radstand 433 cm, Stehhöhe: Wohnraum 190 cm und Nasszelle 182 cm; Masse in fahrbereitem Zustand: 3.525 kg*; zulässige Gesamtmasse: 3.880kg
Aufbau: Stahlblechkarosserie mit Werkshochdach (L3H2), vollisolierte Bodenplatte, vollflächige Karosserie-Isolation Wände/Dach mit PE/XPS in 16/23 mm*, Stoff-Kaschierung, Aluminium-Rahmenfenster. Möbelbau aus Pappelsperrholz und Aluprofil mit Softclose
Bett: Heck-Längsbett 200 x 168 cm
Füllmengen: Frisch-/Abwasser: 100 l/70 l innen-/außenliegend isoliert und beheizt, Gas: 1 x 11 kg, Diesel 93 l, AdBlue 22 l
Serienausstattung: (Auszug) Komfortsitze, Fahrerhausverdunkelung, Fliegenschutzplissee, 7-Zoll-Touchdisplay als Kontrollpanel inkl. App-Einbindung, Trennvorhang zum Schlafbereich, Komfortmatratze mit integriertem Rolllattenrost, Heckgarage mit Zurrschienen und Fittings, Smart-Battery-System mit 80-Ah-Lithium-Batterie
Sonderausstattung: (Auszug) Ausstattungslinie Premium u. a. inkl. 9G-Tronic, Navigation & Smartphone-Integration für MBUX-System (10,25 Zoll), LED-Scheinwerfer, Park-Paket, Klimaautomatik und allen gängigen Assistenzsystemen 10.900 €, Autarkie-Paket mit insgesamt 320 Ah LFP-Batterie, Wechselrichter und Solaranlage 7.900 €, Wohnkomfortpaket u. a. mit Ambiente-Licht-System, Spannbettlaken und Kork-Einleger für Bad 640 €, AT-Bereifung 1.990 €, Campingmöbel 290 €, Allradantrieb 6.990 €, Lederausstattung 1.990 €, Markise 1.490 €, 190-PS-Motorisierung 4.290 €, Lackierung in Pastell-Steingrau 590 €, elektr. Zuziehhilfe Schiebetür 450 €
Grundpreis: ab 101.500 €
Testwagen: 143.850 €