Amplitudenselektive Dämpfung. Kennst du die? Hört sich bestechend an – und ist es auch. Hinter dem Begriff versteckt sich die interessante technische Lösung, das Dämpfungsverhalten eines Stoßdämpfers variabel zu gestalten. „Brauch ich nicht“, wird so mancher Zweifler gleich einwerfen. Beim Blick auf die hohen Ansprüche an Stoß-, besser Schwingungsdämpfer im Fahrwerk eines Kastenwagens würde das Statement unseres Zweiflers womöglich völlig anders aussehen.
Kleiner Exkurs: Der Ducato ist im Kern ein Lieferwagen. Konzipiert für den Transport von Paketen und Paletten. An Fahrkomfort und Fahrsicherheit für die Familie hat bei der Entwicklung in Italien niemand so richtig denken wollen. Entsprechend raubeinig trampelt der Serien-Ducato daher. Der Fahrkomfort steht in keinem Vergleich zum Pkw. Viel schlimmer noch: Einmal als Campervan ausgebaut, ist das Fahrwerk – hier betrachten wir sowohl die Federung wie auch die Stoßdämpfer – nochmals mehr überfordert. Schwer beladene Kastenwagen drücken aus der Kurve heraus, sind bei Ausweichmanövern nur schwer in der Spur zu halten und stempeln über miesen Fahrbahnbelag derart unzivilisiert hinweg, dass so mancher Passagier an Bord befürchtet, die Schränke würden jeden Moment von der Wand fallen.
Zurück zur eingangs erwähnten amplitudenselektiven Dämpfung der neuen Bilstein Stoßdämpfer. Diese ist deshalb durchaus wichtig, da keine Fahrsituation der anderen gleicht. Kurze schnelle, hochfrequente Stöße – und insbesondere das anschließende Ausfedern – muss der Stoßdämpfer ebenso kontrollieren wie niederfrequente lange Wellen oder Ausweichmanöver. Zwei völlig unterschiedliche Aufgaben für den Stoßdämpfer, was Bilstein durch einen variablen Ölfluss im Dämpfer gelöst hat.
Die DampMatic-Gasdrucktechnologie ermöglicht somit eine weichere Abstimmung beim entspannten Cruisen ebenso wie eine straffere Kennung bei Ausweichmanövern, oder wenn der lange Überhang nach dem Einfedern der Hinterachse schnell wieder, ohne gefährliches Nachwippen, unter Kontrolle kommen soll. Dabei kommt die Bilstein-Dämpfung ganz ohne anfällige elektrische Sensorik aus. Kurzum: Der Dämpfer kann seine Dämpfkraft an unterschiedliche Fahrsituationen anpassen.
Der Vantourer 630 L, den uns EuroCaravaning für Umbau und Testfahrten überlässt, ist eines der ersten Fahrzeuge in Deutschland, das in den Genuss der neuen B6 Camper Advanced-Dämpfer kommt. Schon vor dem Umbau war das Fahrzeug rund 3.000 Kilometer bei uns unterwegs – seine Fahrwerksperformance der Redaktion gut bekannt. Fahrwerksspezialist ORC übernimmt die Umrüstung – keine große Aufgabe für das Team aus Bad Ditzenbach.
Neue Stoßdämpfer für den Fiat Ducato im Test
Danach ging es mit dem Vantourer in die Normandie und anschließend nach Wales. Ganze 5.000 Kilometer, schwer beladen mit Rädern in der Heckgarage und Gepäck für drei Wochen. Der Fahreindruck: Schon auf den ersten Metern als der Vantourer aus dem Hof von ORC steuert, vermittelt der Ducato eine exaktere Spurtreue, bleibt bei schnellen Ausweichmanövern sehr viel souveräner und zeigt sich von hartem Windschlag beim Überholen von Lkws sehr viel weniger beeindruckt. Ganz ohne Frage: Die Umrüstung zeigt einen spürbar positiven Effekt.
Doch am Ende fehlte ein Aha-Erlebnis: Auf grobem Asphalt, bei kurzen harten Schlägen – das Gefühl „wie auf Wolken“ fehlt immer noch. Hier scheint die Optimierung lückenhaft. Um unseren subjektiven Fahreindruck zu untermauern, schicken wir Fahrzeug und Techniker auf die Iveco-Teststrecke bei Ulm.
Einsatz auf der Teststrecke
Messergebnisse mit Serien- und optimiertem Fahrwerk im Überblick
Ein Kopfsteinpflaster ist ein ziemlicher Härtetest für ein Fahrwerk. Der Lärm im Fahrzeug ist ohrenbetäubend, die Belastung für Passagiere und Ausbau enorm. Wer jedoch schon zahlreiche Länder bereist hat, weiß, auch diese Fahrsituationen lauern verhältnismäßig oft – sie sind aber nur ein Baustein einer Gesamtbetrachtung des Fahrwerks.
Im Test wurden zwei etwa 80 Kilogramm schwere Mess-Dummys auf Beifahrer- und Dinettensitz platziert. Die rote Messkurve (OEM) zeigt das Fiat-Serienfahrwerk, die blaue Messkurve die Vergleichsfahrt mit dem Bilstein-B6-Advanced-Fahrwerk. Die Ergebnisse sind Mittelwerte aus jeweils zehn Fahrten über die Teststrecke.
Um die kryptische Messkurve etwas greifbarer zu machen: Die Ergebnisse vor und nach der Optimierung unterscheiden sich nur marginal. Während die Bilstein B6-Advanced im Praxistest auf über 5.000 Kilometern in zahlreichen Fahrsituationen attraktive Pluspunkte einfahren konnten (beispielsweise Ausweichmanöver, Spurtreue, Stabilität bei Seitenwind), veranschaulichen die Ergebnisse der Teststrecke eindrücklich auch andere Fahreindrücke aus dem Alltagseinsatz:
Dem Ducato fehlt es mit Ausbau und Ladung a) an aktiv nutzbarem Federweg und damit b) an einer deutlich komfortablen Federung. Was, ganz wichtig, kein Manko des Dämpfers ist. Hier heißt es differenzieren: Neben einem leistungsfähigen Schwingungs-, sprich Stoßdämpfer, muss eben auch die Spiralfeder an der Vorderachse optimiert und/ oder die Hinterachsfederung überarbeitet werden.
Klares Fazit: Eine wirkliche, komfort- und fahrsicherheitsorientierte Optimierung gelingt beim Ducato nicht allein durch den Tausch der Dämpfer – auch die etwas hemdsärmlige Federung des Ducatos muss verbessert werden. Beste Erfahrungen hat ORC in der Vergangenheit mit einer Kombination von Koni-FSD-Stoßdämpfern mit Eibach-Federn gemacht, das Kunden-Feedback war bisher exzellent. Preislich rangiert diese Kombination für 2.700 Euro inklusive Einbau nur knapp über der Bilstein-Eibach-Variante. Erste Kundenmeinungen zu dieser Optimierung stehen noch aus, aktuell wartet ORC sehnsüchtig auf die erste Lieferung von Bilstein – wir sind gespannt.
Infobox
Camper sollten sich darüber im Klaren sein, dass Stoßdämpfer einem permanenten, schleichenden Verschleiß unterliegen. Kurzum: Der Fahrer merkt nicht urplötzlich, wie eklatant sich die Fahrsicherheit verschlechtert hat. Tatsächlich verschlechtern sich bei älteren Dämpfern die Straßenlage und die ESP-Wirkung kontinuierlich, der Bremsweg verlängert sich, die Gefahr von Aquaplaning und das Risiko bei Ausweichmanövern steigen. Für einen regelmäßigen Check der Stoßdämpfer sprechen nicht nur die offensichtlichen Sicherheitsaspekte – defekte Dämpfer erhöhen den Verschleiß an Fahrwerk und Reifen massiv, die Folgekosten addieren sich.
- Sichtbarer Ölverlust
- Auswaschungen an Reifen
- Flattern am Lenkrad
- Fahrzeug wippt beim Bremsen oder beim Überfahren von Bodenwellen nach
- unpräzises Lenk- oder Spurverhalten, insbesondere beim Überfahren von Schlaglöchern oder Kuppen sowie bei plötzlichem Seitenwind (Überholvorgang)
ORC-Empfehlung zur Optimierung des Ducato-Fahrwerks
ORC in Bad Ditzenbach-Gosbach auf der Schwäbischen Alb optimiert seit über 15 Jahren Ducato- und weitere Camper-Fahrwerke – auch die Umrüstung des Vantourer 630 L übernahm die Werkstatt von Geschäftsführer Björn Gärttling. Von den Testergebnissen zeigt sich Gärttling wenig überrascht:
„Seit 2006 sehen wir den effektiven Fortschritt für den Kunden hinsichtlich Federungskomfort und Dämpfung in einer Kombination aus Hochleistungsdämpfer und hochwertiger Feder. Wir werden den Kunden immer empfehlen, ein komplettes Fahrwerk zu wechseln, da gerade bei den Ducatos auch der fehlende Federweg ein Manko ist.
Der Austausch der einzelnen Dämpfer ist nur dann anzuraten, wenn defekte Dämpfer im Ersatz getauscht werden müssen, hier ist grundsätzlich der Griff nach oben zu empfehlen und der Seriendämpfer beispielsweise durch den Bilstein B6 Camper zu tauschen. Aus dieser Motivation heraus werden wir das Bilstein-Fahrwerk in Kombination mit Eibach-Federn anbieten. Preislich ist das Gesamtpaket für den Kunden ohnehin attraktiver – die Federn sind hinten fix montiert und bei ohnehin demontierten Federbeinen an der Front auch dort verhältnismäßig schnell getauscht.“
Zum Vergleich – drei Fahrwerksoptimierungen von ORC im Preis-Check (alle Preise zuzüglich TÜV-Abnahme):
- VERSION 1 ORC Basis – Bilstein B6 Camper Advanced (DampMatic) ersetzen die Serienstoßdämpfer. Dämpfer inklusive Einbau belaufen sich preislich auf 1.830 Euro.
- VERSION 2 ORC Advanced – Bilstein B6 Camper Advanced (DampMatic) in Kombination mit längeren Eibach-Federn. Kosten inklusive Einbau bei aktuell 2.550 Euro.
- VERSION 3 ORC Fahrwerk Luxus – hier setzt ORC auf eine Kombination aus längeren Eibach-Federn an der Vorderachse und einer VB Airsuspension-Zusatzluftfederung an der Hinterachse, kombiniert mit den Stoßdämpfern Bilstein B6 Camper Advanced. Kostenpunkt: 3.850 Euro, inklusive Einbau.
Wer sich ein klares Bild von den Versionen machen möchte: ORC bietet in Bad Ditzenbach eine Probefahrt mit einem optimierten Ducato an. Eine Terminabsprache ist natürlich Voraussetzung: www.orc-exklusiv.de
Interview mit Christian Marquart, Geschäftsführer Marquart Stoßdämpfer
? Herr Marquart, im Praxistest konnten die Bilstein-Dämpfer in einigen Fahrsituationen überzeugen – auf der Teststrecke, bei kurzen, harten und hochfrequenten Schlägen weniger. Marquart: Der günstige Fiat Ducato zählt nicht zu den Komfortwundern. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Bilstein-Dämpfer in puncto Sicherheit eine deutliche Verbesserung bringen – plattgedrückte Transporterfedern verbessert aber selbst der beste Dämpfer nicht.
? Nochmals kurz erklärt: Potenzial und Grenzen eines Stoßdämpfers? Marquart: Gute Stoßdämpfer optimieren das Fahrverhalten. Sie kontrollieren Aufschaukeln, Einnicken beim Bremsen, Nachwippen oder zu starkes Neigen in Kurven. Um Komfort generieren zu können, benötigt es eine optimale Abstimmung von Dämpfer und Feder.
? Was braucht es, um Fahrsicherheit sowie Fahrkomfort zu optimieren? Marquart: Um den Ducato zu optimieren, benötigt es in erster Linie mehr Federweg. Daher heben wir die Vorderachse, teils die Hinterachse, je nach Kundenwunsch, unterschiedlich hoch an, wechseln Federn und passen die Stoßdämpfer abschließend aufs neue Fahrwerk an. www.marquartstossdampfer.de
Zum Weiterlesen: Mehr Ratgeber-Beiträge findet ihr hier.